Endgültige Entscheidung: Sterilisation bringt Männer ins Grübeln Von Christine Cornelius, dpa

Meist kommt die Überlegung Ende 30, Anfang 40, nach abgeschlossener
Familienplanung: Wie soll es weitergehen mit der Verhütung? Manch ein
Mann kommt dann ins Grübeln, ob eine Sterilisation das Richtige sein
könnte. Keine einfache Entscheidung.

Berlin (dpa) - Das Thema kam immer mal wieder auf, meistens brachte
Heiko Ottos Partnerin es auf den Tisch - jetzt, nach der Geburt ihres
dritten Kindes, wieder häufiger. Die Rede ist von Sterilisation beim
Mann, Vasektomie heißt dieser Eingriff in der Medizin. «Die anderen
Verhütungsmethoden haben alle irgendeinen Haken, und bei Frauen ist
die Sterilisation ein größerer Eingriff als bei Männern», sagt Otto
.
«Die Verantwortung für die Verhütung tragen ja oft die Frauen, das
ist nicht ganz fair. Meine Partnerin fände es gut, wenn ich es machen
lassen würde.» Aber der 41-Jährige ist sich unsicher, spricht von
einer «Findungsphase».

«Irgendetwas löst das in mir aus», sagt der Berliner. «Gar nicht so

sehr verbunden mit der Angst vor dem Eingriff selbst, auch wenn das
ein bisschen mit reinspielt. Es hat so etwas Endgültiges.» Bei einer
Vasektomie werden die Samenleiter durchtrennt, um sicherzustellen,
dass ein Mann keine Kinder mehr zeugen kann.

Der Eingriff könne in den ersten zwei bis drei Jahren noch mit sehr
guten Erfolgschancen rückgängig gemacht werden, aber danach werde es
immer schwieriger, sagt Urologe Marc Armbruster aus Kornwestheim in
Baden-Württemberg. «Es ist ein Schritt, der als endgültig zu
betrachten ist.» Die wenigsten Männer wollten es hinterher wieder
rückgängig machen.

Gelegentlich komme die Frage, ob sich die Erektion oder die Lust auf
Sex nach dem Eingriff negativ verändere. «Dies kann aber verneint
werden», betont Armbruster. «Da bei der OP nur die Samenleiter
durchtrennt werden und nicht etwa die für die Erektion zuständigen
Nerven.» Falls es zu Störungen kommen sollte, sei dies meistens
psychisch bedingt.

Timo Storck, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie,
erläutert, dass es auf emotionaler Ebene schwieriger sein könne als
auf anatomischer oder rationaler Ebene - etwa wenn sich jemand frage:
«Ist das ein Verzicht auf etwas, von dem ich denke, dass ich es
irgendwann einmal bereuen könnte?»

Dieser Aspekt treibt auch den Vater Otto um: «Dann wäre es wirklich
vorbei mit weiteren Kindern.» Eigentlich seien drei Kinder immer die
Zahl gewesen, die seine Partnerin und er sich vorgestellt hätten.
«Aber ich kann einfach nicht hundertprozentig sagen, dass unsere
Familienplanung abgeschlossen ist. Wenn sich unsere
Vermögenssituation beispielsweise ändern würde, dann würde ich
definitiv noch mehr Kinder wollen.»

Und dann gebe es da noch ein zweites Szenario, sagt der 41-Jährige:
«Wenn wir doch nicht für immer unseren Weg zusammen gehen sollten,
was ich natürlich nicht hoffe, dann wäre eine weitere Familienplanung
wenn überhaupt nur im Zuge eines deutlich umfangreicheren zweiten
Eingriffs möglich.»

Storck von der Psychologischen Hochschule Berlin betont, es sei auf
jeden Fall wichtig, jemandem bei dem Thema weder moralisch noch
psychologisch etwas vorzuschreiben, «denn es ist eine sehr
persönliche, individuelle Entscheidung, die jeder gut abwägen
sollte». «Manchmal kann es mit anderen Themen verknüpft sein: Wie
geht jemand generell mit großen Schritten um, damit, sich auf etwas
festzulegen?» Eine weitere wichtige Frage sei, ob jemand einen
chirurgischen Eingriff machen lasse, der medizinisch nicht nötig sei.

Urologe Armbruster führt seit rund 15 Jahren Vasektomien durch. «Als
ich angefangen habe, hatte ich das Gefühl, dass ein Patient nur
seinem allerbesten Kumpel davon erzählt hat», sagt der Facharzt. «Es

war schon ein Tabuthema. Jetzt kommt eher jemand und sagt: «Mein
Nachbar hat es empfohlen, und im Fußballverein hat es auch jemand
gemacht». Es wird unter Männern viel offener darüber gesprochen.»

Psychoanalytiker Storck sagt: «Ich denke, dass es heute weniger
belächelt wird als vor 10, 20 Jahren. Es gibt mehr Neugier auf die
Beweggründe als Ablehnung und Spott. In 10, 20 Jahren wird es nochmal
mehr Offenheit geben. Ob diese Offenheit aber zu mehr Eingriffen
führt, wer weiß?» Genaue Zahlen zu Vasektomien liegen weder dem
Berufsverband der Deutschen Urologen noch der Deutschen Gesellschaft
für Urologie vor. Hintergrund ist, dass die Vasektomie in der Regel
eine Selbstzahlerleistung ist und überwiegend ambulant erfolgt.

Wer für eine Vasektomie zu ihm komme, sagt Urologe Armbruster, sei im
Schnitt Ende 30, habe zwei Kinder und die Familienplanung
abgeschlossen. Es kämen aber auch jüngere Männer, die sagten «Ich
habe keine Kinder und ich will auch keine». Das sei allerdings eher
die Ausnahme. Wer sich für eine Vasektomie entscheide, sollte sich
sicher sein, sagt Armbruster. «Die Männer, die bei mir sitzen, die
haben ihre Entscheidung schon gefasst, die haben die Bedenken nicht
mehr.»

Vater Otto gibt sich noch Bedenkzeit. Wenn er den Eingriff mache,
dann in erster Linie für seine Partnerin. «Der Prozess des
Nachdenkens ist auf jeden Fall noch nicht abgeschlossen für mich»,
sagt er. «Meine Partnerin hat sich jetzt erstmal wieder die Pille
bestellt. Ich sage aber nicht hundertprozentig: Ich mache das nicht
mit der Vasektomie.»