Corona mit Pillen stoppen - Für wen Paxlovid im Herbst Sinn hat Von Gisela Gross, dpa

Oh Schreck, ein positiver Corona-Test. Wer als älterer und/oder
vorerkrankter Mensch im Herbst in diese Situation kommt, sollte
wissen: Ein Medikament ist verfügbar, das bei rechtzeitiger Einnahme
das Virus an der weiteren Vermehrung hindern kann.

Berlin (dpa) - Von dem Großeinkauf der Bundesregierung hatten bislang
relativ wenige Patienten etwas: Nach der Beschaffung von einer
Million Packungen des Anti-Covid-19-Mittels Paxlovid Ende Februar
liegen noch mehr als 600 000 Einheiten im Pharma-Großhandel. Weitere
Lieferungen stehen sogar noch aus. An Apotheken ausgeliefert wurden
laut Bundesgesundheitsministerium bisher erst rund 64 000 Einheiten.
Der große Vorrat darf laut Experten aber kein Grund sein, die
Therapie in den nächsten Monaten öfter im Frühstadium von Covid-19 zu

verschreiben. Vielmehr gibt es eine Reihe neuer Daten.

Woher bisherige Vorbehalte kamen

Das Medikament des US-Unternehmens Pfizer, eine Kombination der
Wirkstoffe Nirmatrelvir und Ritonavir, war Ende Januar in der EU
bedingt zugelassen worden. Von Beginn an dämpften einige Fachleute
die Erwartungen: Das Mittel sei kein Game-Changer in der Pandemie,
belegt sei ein Nutzen nur für die Gruppe der Ungeimpften über 65. Die
Effektivität war zudem gezeigt worden, als Omikron noch keine Rolle
spielte, sondern gefährlichere Vorgänger wie Delta. Mediziner standen
im Frühjahr somit vor der Frage, ob Paxlovid in der neuen Lage noch
nötig sein würde. Zurückhaltende Verschreibungen hingen zudem wohl
auch mit möglichen Wechselwirkungen mit vielen anderen gängigen
Medikamenten zusammen.

Hinzu kam: «Die Logistik war am Anfang ein großes Problem», sagt der

Infektiologe Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg,
Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie. Notaufnahmen
zum Beispiel seien nicht damit ausgestattet gewesen. Apotheken
durften das Mittel anfangs nicht vorrätig haben. Dabei ist bei der
Einnahme der Zeitfaktor entscheidend: Infizierte müssen in den ersten
fünf Tagen nach Symptombeginn anfangen, die Tabletten zu nehmen.
Diese Form gilt als großer Vorteil: Manch andere Virusstopper bekommt
man als Infusion.

Für zusätzliche Verunsicherung sorgten Berichte über Fälle, in dene
n
mit der Arznei behandelte Patienten einen Rückfall erlitten: Auf
negative Tests folgten erneut positive. Wohl prominentestes Beispiel
in diesem Sommer war US-Präsident Joe Biden. Nach US-Daten sind
Krankenhausaufnahmen und Besuche in Notaufnahmen in solchen Fällen
jedoch selten. Einer aktuellen Studie im «New England Journal of
Medicine» zufolge sind Rückfälle zudem bei Paxlovid-Patienten fast so

selten wie bei Infizierten, die ein Scheinmedikament erhalten hatten.

Was sich geändert hat

Seit kurzem ist es Arztpraxen, Krankenhäusern und vollstationären
Pflegeeinrichtungen erlaubt, mehrere Packungen Paxlovid über ihre
regelmäßige Bezugsapotheke zu beziehen und vorzuhalten. So sollen die
Tabletten schneller und unkomplizierter zum Patienten gelangen. Hinzu
kommen neue Daten aus der Anwendung in anderen Ländern, die auch
Verläufe bei Menschen mit Covid-19-Impfungen berücksichtigen.

US-Forscher etwa werteten Krankenkassendaten in Hinblick auf Besuche
in der Notaufnahme, Krankenhausbehandlungen und Todesfälle wegen
Covid-19 aus. Sie stellten verglichen mit unbehandelten Patienten ein
verringertes Risiko bei mit Paxlovid behandelten Corona-Infizierten
fest. Die relative Risikoreduktion wurde im Journal «Clinical
Infectious Diseases» mit 45 Prozent angegeben.

Ergebnisse einer Studie mit israelischen Krankenkassendaten stützen
den Einsatz bei älteren Patienten auch in Omikron-Zeiten. Wie das
Autorenteam im «New England Journal of Medicine» festhält, fielen bei

Patienten über 65, die Paxlovid bekamen, die Raten von
Krankenhausbehandlungen und Tod wegen Covid-19 signifikant niedriger
aus als bei nicht damit behandelten Infizierten. «Bei jüngeren
Erwachsenen wurden jedoch keine Hinweise auf einen Nutzen gefunden.»

Bei diesen Untersuchungen gibt es methodisch jedoch einen Haken: Es
sind sogenannte Kohortenstudien, für die Daten erst im Nachhinein
gruppiert und mit statistischen Methoden verglichen wurden. Als
Goldstandard zur Nutzenbewertung von Behandlungen gelten hingegen
randomisierte kontrollierte Studien: Dabei werden Probanden vor der
Behandlung zufällig einer Medikamenten- oder Placebo-Gruppe
zugeordnet. Bei den neuen Daten ist eine Verzerrung der Ergebnisse
durch weitere Faktoren somit nicht bestmöglich ausgeschlossen.

Was Ärzte sagen

Für Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) lautet das Fazit trotz
dieser Einschränkung: «Menschen ab 65 Jahren oder mit unvollständiger

Corona-Impfserie oder mit schweren Vorerkrankungen profitieren auch
in Omikron-Zeiten von Paxlovid.» Das Mittel habe sich zudem als
deutlich effektiver als die Alternative Molnupiravir erwiesen. Für
Jüngere ohne Immunschwäche und vollständig Geimpfte müsse es aber
nicht propagiert werden. «Es darf auch keinen Verwendungsdruck vor
dem Hintergrund zu viel eingekaufter Dosen geben», mahnte Kluge. Er
ist federführend an der medizinischen Leitlinie mit Empfehlungen zur
stationären Therapie von Covid-19-Patientinnen und Patienten
beteiligt, deren neue Version am Montag erschienen ist.

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und
Familienmedizin (Degam), Martin Scherer, erklärte auf Anfrage:
«Paxlovid kann gerade bei älteren Menschen mit mehreren chronischen
Erkrankungen und einem eingeschränkten Immunschutz schwere Verläufe
verhindern, es sollte daher bevorzugt bei Menschen mit einem erhöhten
Risiko für einen schweren Verlauf eingesetzt werden.» Der Einsatz sei
auch bei geimpften Risikopatienten, die keinen ausreichenden
Immunschutz aufbauen konnten, zu befürworten.

Mögliche Nebenwirkungen sind Geschmacksstörungen, Durchfall und
Erbrechen. Für den Infektiologen Salzberger ist wichtig, dass sich
frisch Infizierte mit Risikofaktoren erst einmal bei ihrem Hausarzt
melden. «Das gibt es leider auch, dass Patienten gar nicht erst
losgehen.» Die Erfahrung habe zudem gezeigt, dass Paxlovid selbst im
Fall einer Verordnung nicht immer eingenommen werde - etwa wenn
Erkrankte schon die Covid-19-Impfung ablehnten.

Experten rufen Mediziner dazu auf, mögliche Wechselwirkungen und
Gegenanzeigen gründlich zu prüfen. Diese können Infizierten drohen,

die zeitgleich bestimmte andere Medikamente nehmen.