Tickende Zeitbomben: Forscher warnen vor Gefahr von Vulkanausbrüchen Von Christoph Meyer, dpa

Die Corona-Pandemie hat der modernen Zivilisation ihre eigene
Verletzlichkeit vor Augen geführt. Doch Wissenschaftler warnen, dass
die Gefahr eines massiven Vulkanausbruchs noch immer sträflich
vernachlässigt wird - mit womöglich drastischen Folgen.

Cambridge/Birmingham (dpa) - Ein massiver Vulkanausbruch könnte die
Welt in eine Krise von ähnlichem finanziellem Ausmaß stürzen wie die

Corona-Pandemie. Davor warnen Wissenschaftler des Centre for the
Study of Existential Risk (CSER) an der Universität Cambridge und von
der Uni Birmingham.

In einem Paper, das die Forscher im Fachmagazin «Nature»
veröffentlichten, mahnen sie eindringlich, die Gefahr ernst zu nehmen
und mehr Geld in die Beobachtung von Vulkanen und die Vorbereitung
auf den Ernstfall zu stecken. Die Welt sei «bedauernswert
unvorbereitet» für einen massiven Vulkanausbruch und die
wahrscheinlichen Folgen für globale Lieferketten, Klima und
Nahrungsmittel, heißt es darin.

Den Wissenschaftlern zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit für einen
Ausbruch der Stärke 7 oder größer in 100 Jahren bei einem Sechstel.
Die Analyse von Schwefelkonzentrationen in Eisbohrkernen ergab
demnach, dass solche Ausbrüche statistisch gesehen alle 625 Jahre
auftreten.

Eruptionen dieses Ausmaßes hätten in der Vergangenheit abrupte
Klimaveränderungen und den Kollaps ganzer Zivilisationen ausgelöst,
warnte die Risiko-Expertin Lara Mani vom CSER einer Mitteilung
zufolge. Sie vergleicht die klimatischen Folgen eines massiven
Vulkanausbruchs mit dem Einschlag eines Asteroiden von einem
Kilometer Durchmesser auf der Erde.

Obwohl das kombinierte Risiko einer Asteroiden- oder Kometenkollision
mit der Erde nur ein Hundertstel der eines massiven Vulkanausbruchs
betrage, werde sehr viel mehr Geld in die Beobachtung von Asteroiden
gesteckt als in die Erforschung von Vulkanen, bemängeln die Forscher.
«Das muss sich dringend ändern. Wir unterschätzen das Risiko für
unsere Gesellschaften durch Vulkane massiv», sagte Mani.

Als Weckruf sollte den Forschern zufolge der Ausbruch auf der
Südseeinsel Tonga im Januar dieses Jahres dienen. Hätte sie länger
angedauert, mehr Asche und Gas emittiert oder in einer Region mit
mehr kritischer Infrastruktur stattgefunden, wie dem Mittelmeer,
wären die Folgen wohl verheerend gewesen, so die Wissenschaftler.

Der letzte Ausbruch der Stärke 7 ereignete sich im Jahr 1815
in Indonesien und hatte dramatische klimatische Folgen, die auch in
Europa zu spüren waren und zu Hungersnöten, gewaltsamen Aufständen
und Epidemien führten. Das auf diesen Ausbruch des Vulkans Tambora
folgende Jahr 1816 wird auch als «Jahr ohne Sommer» bezeichnet. «Wir

leben jetzt in einer Welt mit der achtfachen Bevölkerung und dem
vierzigfachen Handel von damals. Unsere komplexen Netzwerke könnten
uns noch empfindlicher machen für die Erschütterungen eines großen
Ausbruchs», sagte Co-Autor Mike Cassidy und Vulkanologe von der
Universität Birmingham.

Abhilfe erhoffen sich die Experten von einer besseren Überwachung
vulkanischer Aktivität und der Erforschung von Methoden, um Ausbrüche
und ihre Folgen abzumildern. Beispielsweise fordern sie einen
Satelliten, der nur für die Überwachung vulkanischer Aktivitäten
bestimmt ist.

Die Forscher warnen, es könne noch Dutzende gefährliche Vulkane
geben, von denen die Menschheit nichts wisse, besonders in bisher von
der Wissenschaft vernachlässigten Regionen wie Südostasien. Bei
weniger als einem Drittel der Vulkanausbrüche seit 1950 seien
Seismometer zur Erfassung der Bodenschwingungen in der Nähe gewesen
und wiederum nur ein Drittel der erfassten Daten sei bislang in eine
globale Datenbank eingeflossen.

Zudem mahnen sie mehr Forschung in Geo-Engineering-Methoden an, um
beispielsweise von Vulkanen ausgestoßenen Aerosolen etwas
entgegenzusetzen oder Magma-Kammern unter aktiven Vulkanen zu
beeinflussen. Das Risiko für einen massiven Ausbruchs, der die
globale Gesellschaft zerstöre, sei erheblich, sagte Mani und fügte
hinzu, der aktuelle Mangel an Investitionen sei «einfach
verantwortungslos».