Küssen könnte Ausbreitung von Herpesviren begünstigt haben

Cambridge (dpa) - Wenn Küssen krank macht: Nach Ansicht von
Wissenschaftlerinnen könnte das Aufkommen des Kusses als neuer Brauch
die Verbreitung des oralen Herpesvirus begünstigt haben. Dieses wird
über den Mund übertragen. «Vor etwa fünftausend Jahren geschah etwa
s,
das es einem Herpesstamm ermöglichte, alle anderen zu überholen,
möglicherweise eine Zunahme der Übertragungen, die mit dem Küssen in

Verbindung stehen könnte», sagte Christiana Scheib von der britischen
University of Cambridge. Sie ist Ko-Autorin der Studie, die im
Fachblatt «Science Advances» erschien.

Für die Studie analysierte das internationale Forscherteam etwa 3000
DNA-Proben von archäologischen Funden. Die Wissenschaftler und
Wissenschaftlerinnen fanden nur in vier Fällen das Herpesvirus. Die
älteste Probe komme von einem Mann, der in der russischen Uralregion
lebte und aus der späten Eisenzeit vor etwa 1500 Jahren stammte.
Bisher stammten die ältesten genetischen Daten für Herpes nach
Angaben der Autorinnen und Autoren von einer Probe aus dem Jahr 1925.

Durch eine Sequenzierung der Genome und einem Vergleich zu Proben aus
dem 20. Jahrhundert habe man eine Mutationsrate und die Evolution des
Virus abschätzen können.

«Gesichtsherpes versteckt sich lebenslang in seinem Wirt und wird nur
durch oralen Kontakt übertragen, so dass Mutationen langsam über
Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg auftreten», sagte Ko-Autorin
Charlotte Houldcroft (ebenfalls Uni Cambridge). Jede Primatenart habe
eine Form von Herpes, sagte Scheib. Deshalb gehe man davon aus, dass
auch Menschen das Virus in sich trugen, seit sie Afrika verlassen
haben. Das Küssen könnte später aber zu einer Verbreitung des oralen

Herpes beigetragen haben.

Die früheste bekannte Überlieferung des Küssens ist nach Angaben des

Forscherteams ein Manuskript aus der Bronzezeit in Südasien. Der
Brauch sei in der menschlichen Kultur bei weitem nicht universell.

Die Wissenschaftlerinnen vermuten, dass der Kuss mit einer
Wanderungsbewegung aus Eurasien nach Europa gekommen sein könnte. Der
Aufschwung des oralen Herpes könne mit dem Aufkommen der kulturellen
Praxis des sexuellen und romantischen Küssens zusammengefallen sein.

Auch heutzutage ist der romantische Kuss übrigens nicht in allen
Teilen der Welt verbreitet. Eine Studie des Kinsey Instituts an der
Indiana University kam 2015 zu dem Ergebnis, dass es nur in 46
Prozent der 168 untersuchten Kulturen erfolgt. Insbesondere im
Mittleren Osten, in Nordamerika und Europa werden demnach viele Küsse
verteilt. Bei afrikanischen Kulturen südlich der Sahara, auf
Neuguinea oder in Zentralamerika spiele der mit Liebe und Sexualität
verbundene Kuss eher keine Rolle.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation werden
Herpeserkrankungen hauptsächlich durch zwei Virentypen
verursacht: Das Lippenherpes-Virus (HSV-1) und das
Genitalherpes-Virus (HSV-2). Der Typ HSV-1, um den es auch in der
Studie geht, wird über Mund-zu-Mund-Kontakt übertragen. Das Virus
bleibt lebenslang im Körper, Symptome können immer wieder auftreten.
Laut WHO sind etwa 3,7 Milliarden Menschen unter 50 Jahren mit diesem
Herpesvirus infiziert.