Scholz: Kein Corona-Lockdown mehr wie in den vergangenen Jahren

Im September läuft die Rechtsgrundlage für Corona-Schutzvorkehrungen
aus. Die Ampel will dafür rasche Vorbereitungen treffen. Bestimmte
Maßnahmen schließen der Kanzler und der Justizminister jedoch aus.

Berlin (dpa) - Bundeskanzler Olaf Scholz hält für den kommenden
Herbst und Winter nicht mehr so drastische Corona-Maßnahmen für nötig

wie in den Jahren zuvor. «Schulschließungen sollte es nicht mehr
geben, und ich glaube auch nicht, dass wir so einen Lockdown
brauchen, wie wir ihn in den letzten Jahren hatten», sagte der
SPD-Politiker am Sonntag im ARD-Sommerinterview im «Bericht aus
Berlin». Man habe inzwischen eine «völlig veränderte Situation»,

sagte Scholz mit Blick auf eine Impfquote von 76 Prozent
(Grundimmunisierung) in Deutschland. Bundesjustizminister Marco
Buschmann (FDP) hatte sich zuvor ähnlich geäußert.

Die Infektionszahlen steigen seit einiger Zeit, die ansteckendere
Omikron-Sublinie BA.5 dominiert das Infektionsgeschehen. Die Zahl der
Schwerkranken, die auf Intensivstationen in Deutschland mit Covid-19
behandelt werden, stieg nach Angaben vom Sonntag erstmals seit Mitte
Mai auf 1000. Experten halten eine Welle auch für Herbst und Winter
für möglich. Befürchtet wird eine erhebliche Belastung des
Gesundheitssystems und der kritischen Infrastruktur.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte zuletzt vor
einer deutlichen Verschärfung der Lage. Rufe nach einer schnellen
rechtlichen Vorbereitung für eine Herbstwelle wurden laut. Im
Frühjahr waren die Corona-Bestimmungen stark zurückgefahren worden,
die bundesweite Rechtsgrundlage läuft am 23. September aus.

Kanzler Scholz kann sich vorstellen, dass Test- und Maskenpflichten
im Herbst und Winter wieder eine größere Rolle spielen werden. «Es
muss darüber diskutiert werden, ob die Tests wieder genutzt werden»,
sagte er in der ARD. Und zur Maskenpflicht, die es hauptsächlich noch
in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Einrichtungen mit
Risikogruppen wie Kliniken und Pflegeheimen gibt, sagte er: «Ich
glaube, dass man schon davon ausgehen muss, dass die Maske im Herbst
und Winter schon eine größere Rolle spielen wird als jetzt.» Scholz
rief zugleich Menschen ab 60 Jahre zu einer vierten Impfung gegen
Corona auf.

Justizminister Buschmann äußerte sich am Wochenende in den Zeitungen
des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) zum Maskentragen ähnlich
wie Scholz. Details nannte aber auch er nicht. Mit Blick auf den am
Freitag vorgelegten Bericht eines Sachverständigenausschusses zur
Wirksamkeit bisheriger Schutzmaßnahmen sagte der FDP-Politiker:
«Unsere Pflicht, für verhältnismäßige gesetzliche Grundlagen zu
sorgen und das zur Verfügung stehende Wissen zu nutzen, sowie der
Respekt vor diesem Evaluationsgremium gebieten es, dass wir jetzt
erst mal diesen Bericht auswerten. Dann schauen wir weiter.» Nach
seiner Einschätzung wird die Bundesregierung vermutlich noch im Juli
ein Konzept zur Vorbereitung auf den Corona-Herbst vorlegen.

Knapp die Hälfte der Menschen in Deutschland sprach sich zuletzt in
einer Umfrage für sofortige schärfere Regeln aus. In einer Befragung
des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der «Augsburger
Allgemeinen» bejahten 49 Prozent die Frage, ob die aktuellen
Corona-Maßnahmen umgehend verschärft werden sollten. 43 Prozent waren
dagegen, 8 Prozent unentschieden.

Das Gutachten des Sachverständigenausschusses war lange erwartet
worden. Demnach können Schutzmaßnahmen wie das Maskentragen auch
weiter gegen das Coronavirus hilfreich sein. Hinter vielen anderen
bekannten Auflagen setzten die Experten aber Fragezeichen, mangels
ausreichender Daten seien keine sicheren Bewertungen möglich.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte davor, vulnerable
Gruppen zu vernachlässigen. Vorstand Eugen Brysch sagte der dpa, in
dem «Gezerre» um Maßnahmen komme der Schutz von hochbetagten,
pflegebedürftigen und schwerstkranken Menschen unter die Räder.
Allein die steigenden Ausbrüche in den rund 12 000 Pflegeheimen
verlangten aber ein einheitliches und effizientes Vorgehen. Brysch
forderte unter anderem eine Konzentration der PCR-Testkapazitäten auf
Pflegebedürftige, Angehörige und medizinisch-pflegerisches Personal.
Er verlangte vom Gesundheitsministerium, jedem Pflegebedürftigen eine
kostenlose Prüfung des Immunstatus anzubieten. Das Robert
Koch-Institut solle Impfempfehlungen abgeben, die den Immunstatus
berücksichtigen. Schließlich benötigten Altenheime bei
Ketteninfektionen externe mobile Teams zur Unterstützung bei der
Pflege. Im aktuellen Wochenbericht hatte das RKI neben einem
insgesamt anziehenden Infektionsgeschehen auch mehr Corona-Ausbrüche
in Alten- und Pflegeheimen konstatiert.

Die Kosten für Corona-Impfstoffe beliefen sich bis Anfang Juni auf
etwa 6,8 Milliarden Euro. Wie das RND unter Berufung auf Angaben des
Bundesamtes für soziale Sicherung berichtete, fielen seit
Pandemiebeginn bis Ende Juni zudem für die Vergütung von Impfungen,
Impfzentren, Bürger- und PCR-Tests, Schutzmasken, Ausgleichszahlungen
für Krankenhäuser sowie Corona-Arzneimittel 46,4 Milliarden Euro an.
Addiert ergibt dies eine Summe von 53,2 Milliarden Euro.