Gespaltenes Amerika: Abtreibungsverbote vielerorts schon in Kraft

Frauen in Amerika finden sich einer neuen Realität wieder: Nach der
hoch umstrittenen Entscheidung des Supreme Courts erlassen immer mehr
Bundesstaaten strikte Abtreibungsverbote. Und einige Konservative
wollen noch weit mehr erreichen.

Washington (dpa) - Nach der umstrittenen Entscheidung des Obersten
Gerichtshofs haben mehrere US-Bundesstaaten sofort weitgehende
Abtreibungsverbote in Kraft gesetzt. In Staaten wie Arkansas,
Kentucky oder Louisiana sind Schwangerschaftsabbrüche nun nicht mehr
erlaubt - auch nicht bei Vergewaltigungen oder Fällen von Inzest.
Ausnahmen gibt es in der Regel nur für medizinische Notfälle. In
mehreren weiteren Bundesstaaten treten Verbote in wenigen Wochen in
Kraft. Andere dürften folgen. Eine Reihe liberaler Staaten kündigte
dagegen an, das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche weiter zu
schützen. Prominente Republikaner wie Ex-US-Vizepräsident Mike Pence
machen sich allerdings dafür stark, Abtreibungen im ganzen Land zu
untersagen. In mehreren US-Städten kam es zu Protesten.

Das oberste US-Gericht hatte am Freitag das liberale Abtreibungsrecht
des Landes gekippt. Der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme
Court machte damit den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei -
bis hin zu kompletten Verboten. Einige Staaten hatten bereits
Verbotsgesetze vorbereitet für diesen Fall - sogenannte Trigger Laws.
In einigen Bundesstaaten traten diese sofort in Kraft, in anderen
dauert es etwa einen Monat, bis diese greifen. In vielen Staaten,
etwa in Missouri oder Oklahoma, drohen Ärzten, die Abtreibungen
durchführen, nun lange Gefängnisstrafen.

In den USA gibt es kein landesweites Gesetz, das Abtreibungen erlaubt
oder verbietet. Schwangerschaftsabbrüche waren bislang aber
mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt - heute etwa bis
zur 24. Woche. Dies hatten zwei Urteile des Obersten US-Gerichts
sichergestellt, die nun gekippt wurden. Nun dürfen die Bundesstaaten
über das Recht auf Abtreibung entscheiden. In rund der Hälfte der
Staaten dürfte Abtreibung nun innerhalb weniger Monate stark
eingeschränkt oder verboten werden.

Die Gouverneure unter anderem aus Kalifornien, Oregon, Washington,
Massachusetts, New Jersey und New York bekannten sich ausdrücklich zu
ihrer liberalen Haltung bezüglich Abtreibungen. Frauen können nun
theoretisch in diese Staaten reisen, um eine Abtreibung durchführen
zu lassen. Allerdings können sich das viele schlicht nicht leisten.
Befürchtet wird, dass in ihrer Not wieder vermehrt Frauen den
gefährlichen Weg einschlagen, zu versuchen, selbst eine Abtreibung
vorzunehmen.

Angesichts der Entwicklung bieten mehrere große US-Unternehmen ihren
Mitarbeiterinnen an, im Fall eines Schwangerschaftsabbruches mögliche
Reisekosten für einen Besuch in einem anderen Bundesstaat zu
übernehmen. Eine Reihe von Konzernen wie etwa die Café-Kette
Starbucks oder der Online-Handelsriese Amazon hatten solche
Regelungen angesichts der drohenden Entscheidung des Supreme Courts
bereits zuvor in Aussicht gestellt. Nachdem der Verkündung der
Gerichtsentscheidung kündigten diverse weitere Firmen entsprechende
Schritte an. Der Outdoor-Spezialist Patagonia sagte außerdem zu,
mögliche Kautionskosten zu tragen für Mitarbeiter, die friedlich für

«reproduktive Gerechtigkeit» demonstrierten und festgenommen würden.


Bereits am Freitag hatten in mehreren Großstädten der USA Tausende
Menschen spontan gegen das Urteil protestiert, darunter in der
Hauptstadt Washington, in New York, Los Angeles, San Francisco,
Chicago, Austin, Denver und Philadelphia. Am Wochenende folgten
weitere Demonstrationen. Am Samstag etwa versammelten sich erneut
mehrere Hundert Menschen vor dem Supreme Court, um gegen die
Entscheidung des Gerichts zu protestieren. Eine Mehrheit der
Amerikaner befürwortet Umfragen zufolge das Recht auf Abtreibung.

Dass Frauen in Teilen des Landes nun die Hoheit über ihren eigenen
Körper genommen wird und sie im schlimmsten Fall etwa gezwungen
werden, das Kind eines Vergewaltigers auf die Welt zu bringen,
entsetzt Abtreibungsbefürworter und Liberale. Abtreibungsgegner und
Republikaner dagegen denken - gestärkt durch ihren politischen Sieg
vor dem Supreme Court - bereits laut über weitere Beschränkungen
nach, um etwa den Verkauf von Abtreibungspillen zu blockieren, Reisen
in andere Staaten für Abtreibungen zu erschweren oder ein
landesweites Abtreibungsverbot durchzusetzen.

Die Demokraten würden das Recht auf Abtreibung gerne per Gesetz
bundesweit regeln. Doch dazu fehlen ihnen die nötigen Stimmen im
Kongress. Der demokratische US-Präsident Joe Biden kann dieses Recht
nicht einfach per Dekret wiederherstellen. Er hofft, bei der
Kongresswahl im November eine notwendige Mehrheit für ein solches
Gesetz für seine Partei zu bekommen. Umfragen deuten aber eher in die
andere Richtung - auf Zugewinne für die Republikaner. Und die
konservative Mehrheit am obersten Gericht ist ohnehin auf längere
Sicht zementiert. Richter dort werden auf Lebenszeit ernannt.

Einige Beobachter befürchten, dass der Supreme Court auch andere
grundsätzliche Rechte antasten könnte. Großes Entsetzen löste eine

Stellungnahme des ultra-konservativen Richters Clarence Thomas aus.
Er schrieb, dass auch Entscheidungen, die das Recht auf Verhütung,
die gleichgeschlechtliche Ehe oder Sex unter gleichgeschlechtlichen
Partnern verankern, auf den Prüfstand gehörten.