Richter sehen Chancengleichheit der ÖDP durch Landtag verletzt

Kleine Parteien brauchen in der Regel Unterschriften von
Unterstützern, um bei Wahlen anzutreten. Die geforderte Zahl musste
in der Corona-Pandemie aber angepasst werden, rüffelten Thüringens
Verfassungsrichter jetzt den Landtag.

Weimar (dpa/th) - Der Thüringer Landtag hat nach einem Urteil des
Verfassungsgerichts in Weimar die Chancengleichheit der
Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) bei einer Kommunalwahl
verletzt. Regelungen im Kommunalwahlgesetz seien vor der
Kreistagswahl im Wartburgkreis am 20. Juni 2021 nicht an die
Situation während der Corona-Pandemie angepasst worden, heißt es in
einer am Mittwoch verkündeten Entscheidung der Thüringer
Verfassungsrichter. Dabei geht es um die Zahl der
Unterstützungsunterschriften, die nicht in Parlamenten vertretene
kleine Parteien vorlegen müssen, um bei Wahlen antreten zu können.

In Anbetracht der pandemiebedingten Erschwernisse sei das
Unterschriftenquorum im Frühjahr 2021 nicht mehr verhältnismäßig
gewesen, erklärten die Verfassungsrichter. «Der Thüringer Landtag
hätte die gesetzlichen Vorgaben für die Dauer der
infektionsschutzrechtlichen Beschränkungen im Frühjahr 2021 anpassen
müssen», entschieden sie und rüffelten damit indirekt die Arbeit des

Parlaments.

Die Wahl im Wartburgkreis fand im vergangenen Jahr außerhalb des
üblichen Wahlturnus für die Kreistage in Thüringen statt, weil die
zuvor kreisfreie Stadt Eisenach in den Wartburgkreis aufgenommen
wurde.

Das Verfassungsgericht habe nicht über die Rechtmäßigkeit der Wahl im

Wartburgkreis entschieden, sagte ein Gerichtssprecher auf Anfrage.
Der ÖDP, die geklagt hat, ging es nach eigenen Angaben auch nicht um
diese Frage. «Wir haben das Organstreitverfahren nicht beantragt, um
das Wahlergebnis anzufechten. Denn am festgestellten Wahlergebnis ist
nichts zu bemängeln», erklärte der ÖDP-Landesvorsitzender Martin
Truckenbrodt. Auch richte sich die Kritik nicht gegen die Arbeit der
Kreiswahlleitung und des Wahlausschusses im Wartburgkreis. Dort
musste die ÖDP nach eigenen Angaben 200 Unterstützerunterschriften
sammeln.

Die Zahl der Unterschriften, die kleine Parteien vorlegen müssen, ist
nicht in jedem Kreis gleich. Sie ist laut Kommunalwahlgesetz abhängig
von der Größe des jeweiligen Kreistages.

Die Verfassungsrichter erklärten, die nötigen
Unterstützungsunterschriften für Parteien, die parlamentarisch noch
nicht vertreten sind, diene dem legitimen Ziel, «die Wahlvorschläge
auf ernsthafte Bewerberinnen und Bewerber zu beschränken». Dabei
hätten jedoch die besonderen Bedingungen bei der
Unterschriftensammlung angesichts der Einschränkungen während der
Corona-Pandemie berücksichtigt werden müssen.

Der ÖDP-Vorsitzende vertrat die Ansicht, dass der Landtag in der
Pandemie neben einer Senkung der Unterschriftenzahl auch die
Sammlungsbedingungen erleichtern müsste. Seine Partei hat den Innen-
und Kommunalausschuss des Landtags Mitte Juni auf weitere Mängel in
der Thüringer Kommunalwahlgesetzgebung schriftlich hingewiesen. Er
appellierte an die Abgeordneten, entsprechende Korrekturen
vorzunehmen.