Nur wenige Bußgelder wegen Pflege-Impfpflicht - Land hakt nach

Zwar ist die allgemeine Corona-Impfpflicht gescheitert. Aber seit
Mitte März brauchen Beschäftigte in der Pflege einen Impfnachweis,
sonst droht ihnen die Freistellung. Nun wird es langsam ernst - aber
in einigen Kreisen wird wohl eher auf Zeit gespielt.

Stuttgart (dpa/lsw) - Drei Monate nach Beginn der Corona-Impfpflicht
für Beschäftigte in Seniorenheimen und Kliniken sind im Südwesten
erst wenige Bußgelder gegen ungeimpfte Pflegekräfte verhängt worden.

Das Sozialministerium hakt nun per Umfrage bei den Gesundheitsämtern
nach. Diesen Montag solle die Abfrage nach der Umsetzung der
Impfpflicht beendet sein und dann ausgewertet werden, sagte eine
Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Zwar sei der
Spielraum der Kreise beim Umgang mit ungeimpften Beschäftigten groß,
doch in der Hauptsache gehe es darum, Alte und Kranke in Heimen und
Krankenhäusern zu schützen. Aus Sicht von Joachim Walter, Präsident
des Landkreistags, droht die Impfpflicht den Pflegenotstand im Land
zu verschärfen. Er dringt darauf, die Regel auszusetzen.

Tempo variiert zwischen Kreisen - Calw und Karlsruhe gehen voran

Im Landkreis Calw wurden bisher 81 Verfahren eingeleitet, in 15
Fällen wurden Bußgeldbescheide erlassen, wie eine Sprecherin der
Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Die Betroffenen müssen 250 Euro
zahlen und damit rechnen, dass sie unter Umständen bis Ende des
Jahres in ihrem Job am Patienten nicht mehr arbeiten dürfen oder
sogar ganz freigestellt werden. Das Landratsamt Karlsruhe hat
kürzlich im zweistelligen Bereich Verfahren zur Einleitung eines
Bußgeldes an die Bußgeldstelle der Stadt Karlsruhe weitergeleitet. Im
Kreis Reutlingen wurde in etwa 80 Fällen ein Bußgeld angedroht.

In den vergangenen Wochen haben sich Zehntausende Beschäftigte ohne
Impfnachweis bei den Gesundheitsämtern gemeldet, doch in vielen
Kreisen dauern die Verfahren noch an, wie eine dpa-Umfrage ergab. Das
trifft zum Beispiel auf Mannheim, Tübingen, den Enzkreis und den
Kreis Breisgau-Hochschwarzwald zu. Ein Sprecher des Landkreistags
sagte, der Stand der Umsetzung variiere zwischen den Kreisen. «Es
kommt unter anderem darauf an, welche Konsequenzen Bußgelder und
sonstige Verwaltungsmaßnahmen für die Versorgungssicherheit haben
würden und ob das jeweilige Gesundheitsamt aktuell nicht mit anderen
prioritären Aufgaben befasst ist.»

Landkreispräsident tritt auf die Bremse

Im Landkreis Tübingen von Landrat Joachim Walter wurden bisher noch
keine Bußgelder verhängt, sondern Erinnerungsschreiben verschickt.
«Insgesamt gehen wir mit Bedacht und Augenmaß vor, zumal sich bei uns
viele Einrichtungen melden, die uns bitten, keine Betretungsverbote
zu verhängen», sagte Walter der dpa. Kliniken befürchten demnach
Personalmangel und dass Patienten nicht mehr ausreichend versorgt
werden können. Der CDU-Mann sagte: «Aus unserer Sicht wäre es an der

Zeit, sich einzugestehen, dass es keinen anderen Weg gibt, als die
einrichtungsbezogene Impfpflicht auszusetzen, bevor der bereits
bestehende Pflegenotstand vollends eskaliert.»

Walter lässt auch das Argument nicht gelten, mit der Impfpflicht
würden Alte und Kranke geschützt. «Da die Corona-Schutzimpfung zwar
schwere Krankheitsverläufe vermeiden hilft, sie bei der aktuellen
Virusvariante das Übertragungsrisiko aber nicht wirklich reduziert,
ist es politisch durch nichts zu rechtfertigen, dass Beschäftigte des
Gesundheits- und Pflegebereichs im Unterschied zu allen anderen
Berufsgruppen ein Berufsverbot riskieren, wenn sie sich nicht impfen
lassen.» Das geimpfte Personal habe eine noch höhere Arbeitslast zu
tragen, was nicht selten zu weiteren Ausfällen führe: «Ein echter
Teufelskreis», kritisiert Walter. Die Teil-Impfpflicht sei «ein
reines Behördenbeschäftigungsprogramm ohne erkennbar positive
Auswirkung auf das pandemische Geschehen».

Die AfD-Fraktion warf dem Stuttgarter Sozialministerium vor, die
Impfpflicht in der Pflege auf Biegen und Brechen durchdrücken zu
wollen. «Völlig ohne Not wird hier ein Pflegenotstand provoziert»,
teilte die sozialpolitische Sprecherin, Carola Wolle, mit. Sie frage
sich, wer unter solchen Arbeitsbedingungen noch in der Pflege
arbeiten möchte. Landkreistagspräsident Walter sei schon auf der
richtigen Spur, wenn er eine Aussetzung der Pflege-Impfpflicht
fordere. «Diese Impfpflicht gehört aber nicht ausgesetzt, sondern
endgültig abgeschafft», forderte die AfD-Frau.

Ultima ratio: Betretungsverbot

Seit Mitte März gilt die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht.
Kliniken, Heime und Einrichtungen, Praxen und ambulante Dienste
müssen seitdem Mitarbeitende beim Gesundheitsamt melden, die nicht
geimpft oder genesen sind oder bei denen es Zweifel an der Echtheit
der vorgelegten Nachweise gibt. Bis zum Ablauf einer zweiwöchigen
Meldefrist Ende März wurden den Behörden nach Angaben des
Sozialministeriums rund 32 000 ungeimpfte Beschäftigte gemeldet.
Neuere Zahlen soll die neue Umfrage bringen.

Die Gesundheitsämter betrachten bei der Kontrolle der Impfpflicht
jeden Fall einzeln. Zunächst wird versucht, die Betroffenen von der
Maßnahme zu überzeugen. Ist kein Umdenken in Sicht, kann das Amt
«innerhalb einer angemessenen Frist» das Betreten des Arbeitsplatzes
und die dort ausgeübte Tätigkeit untersagen. Auch ein Bußgeld von bis

zu 2500 Euro ist möglich. Die Betreiber können aber auch versuchen,
individuelle Lösungen zu finden, um den Schutz gefährdeter Gruppen zu
gewährleisten. Dazu zählten etwa patientenferne Tätigkeiten oder
besondere Hygienemaßnahmen für Beschäftigte, um Betretungsverbote zu

vermeiden.