WTO schafft Durchbruch bei Patenten und Fischerei - Trotzdem Kritik Von Christiane Oelrich, dpa

Nach jahrelangem fruchtlosen Ringen hat die WTO Vereinbarungen im
Streit über Corona-Patente und Fischerei zustande gebracht. Richtig
glücklich ist aber niemand.

Genf (dpa) - Die 164 Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO)
haben sich nach langem Ringen auf eine Vereinbarung zur
Produktionsausweitung von Corona-Impfstoffen geeinigt. Regierungen
sollen Patente von Pharmafirmen vorübergehend leichter umgehen
können, um Menschenleben zu retten. Während die Bundesregierung sich
mit dem Durchbruch am frühen Freitagmorgen zufrieden zeigte,
kritisierten sowohl die Pharmaindustrie als auch Gruppen der
Zivilgesellschaft die Vereinbarung.

Auch ein Abkommen gegen schädliche Fischereisubventionen kam
zustande. Allerdings musste ein umstrittener Teilbereich zunächst
ausgeklammert werden. Zudem verlängerten die Minister eine
Vereinbarung, keine Zölle auf den grenzüberschreitenden digitalen
Handel - etwa auf Streamingdienste - zu erheben. Die Handelsminister
versprachen in einer Erklärung zur Nahrungsmittelsicherheit,
Exportbeschränkungen möglichst selten einzusetzen, und sie
verabschiedeten einen Fahrplan für Reformen der WTO.

Für die deutsche Exportwirtschaft lagen die Prioritäten ganz
woanders: sie pocht auf die Wiederherstellung des teils lahmgelegten
Streitschlichtungsverfahrens und auf Reformen der WTO-Regeln. Dabei
geht es etwa um den Umgang mit Staatsbetrieben wie aus China, die auf
dem Weltmarkt Konkurrenz machen. Beides soll in den nächsten zwei
Jahren nun in Angriff genommen werden. Mit dem Beschluss sei die
Konferenz «gerade noch an einem kompletten Scheitern
vorbeigeschrammt», meinte Volker Treier, Außenwirtschaftschef des
Verbands der Industrie- und Handelskammern (DIHK). Das multilaterale
WTO-System als Grundgerüst für Welthandel und internationale
Arbeitsteilung sei unverzichtbar. Die deutsche Regierung müsse sich
da stärker engagieren.

Es war das erste Mal seit Jahren, dass die WTO wieder ein Abkommen
zustande brachte. Die Organisation drohte in der Bedeutungslosigkeit
zu versinken. Der damalige US-Präsident Donald Trump wollte
austreten. Als auch diese Konferenz zu scheitern drohte, setzte
WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala am Mittwoch eine Verlängerung durch.
«Sie reisen nicht mit leeren Händen nach Hause», sagte die 68-Jähri
ge
bei Sonnenaufgang am Freitag. «Die WTO hat demonstriert, dass sie in
der Lage ist, auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren.»

Das Bundeswirtschaftsministerium lobte die Patentvereinbarung,
bekannt als «Trips waiver» - also Einschränkungen des Trips-Abkommens

über geistiges Eigentum. Regierungen könnten damit gegen den Willen
von Pharmafirmen etwa Zwangslizenzen für die Produktion von
Covid-19-Impfstoffen erteilen, ohne den Schutz geistigen Eigentums
generell infrage zu stellen, wie der deutsche Staatssekretär Udo
Philipp sagte. Zwangslizenzen waren auch vorher möglich, aber sie
gehen nun in Teilbereichen etwas weiter. Auch Südafrika begrüßte die

Vereinbarung als «solide und nützliche Grundlage», um
Herstellungskapazitäten für Impfstoffe in Afrika zu entwickeln.

Der Pharmaverband IFPMA äußerte sich enttäuscht. Es sei ein
gefährliches Signal an die Wissenschaft. Volle Patentrechte seien
nötig, um Innovationen hervorzubringen. Ähnlich äußerte sich die
deutsche Pharmaindustrie. «Hier wird das Patentrecht politisch
instrumentalisiert, statt die Probleme anzugehen, die wirklich
existieren», sagte der Präsident des Verbandes Forschender
Arzneimittelhersteller, Han Steutel. Die Produktion der
Corona-Impfstoffe sei nicht mehr das Problem. Vielmehr gebe es ein
Überangebot. Durch Lockerungen des Patentschutzes würde höchstens
noch mehr auf Halde produziert.

Der Mainzer Corona-Impfmittelhersteller Biontech erklärte, dass
Patente nicht der «limitierende Faktor» für die Produktion oder
Versorgung mit Vakzin seien. Das Unternehmen hätte aktuell
zusätzlichen Impfstoff auf Lager. Wichtiger als die Patentfrage sei
der Aufbau einer Versorgungskette, die die Herstellung, die
Verteilung und die Aufklärung rund um die Medikamente umfasse.
«Deshalb arbeitet Biontech am Aufbau von regionalen
Produktionskapazitäten», betonte das Mainzer Unternehmen. Der Bau der
ersten Produktionsstätte in Afrika starte in der kommenden Woche
offiziell in Ruanda und werde von Regierungen sowie internationalen
und nationalen Organisationen gemeinsam gestemmt.

Unternehmen investieren oft jahrelang in die Erforschung von
Medikamenten und Impfstoffen. Nur ein Bruchteil ist erfolgreich. Mit
den Produkten wollen die Firmen dann über Lizenzschutz Geld
verdienen.

Organisationen wie die People's Vaccine Alliance oder Oxfam
kritisierten die Vereinbarung dagegen als wirkungslos, auch weil sie
nur Impfstoffe und keine Medikamente und Diagnostika umfasst. Von der
ursprünglichen Forderung nach Aufhebung der Patente sei durch viele
Auflagen wenig übrig geblieben. «Es ist beschämend, dass die
WTO-Mitglieder dem Versuch, eine strauchelnde Institution und obszöne
Unternehmensgewinne zu retten, Vorrang vor der Rettung von
Menschenleben gaben», meinte Melinda St. Louis von Public Citizen.
Besonders die EU habe eine echte Aufhebung von Patentrechten
blockiert.

Auch die Ärzte ohne Grenzen sehen wenig Nutzen: «Die Maßnahmen werden

weder gegen Pharmamonopole vorgehen noch einen erschwinglichen Zugang
zu lebensrettenden medizinischen Hilfsmitteln gewährleisten.»

Über das Fischereiabkommen wurde seit mehr als 20 Jahren verhandelt.
Subventionen für illegale und unregulierte Fischerei sollen verboten
werden. Bei anderen Subventionen, die zur Überfischung beitragen,
soll nachverhandelt werden. «Dennoch ist es uns am Ende gelungen,
einen für alle 164 WTO-Mitglieder tragbaren Kompromiss zu finden und
damit einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit in der globalen
Fischerei zu leisten», sagte Staatssekretär Philipp. Die für
nachhaltige Fischerei engagierte Organisation Pew Charitable Trusts
war zufrieden. Es sei ein Wendepunkt im Kampf gegen eine der
Hauptursachen der weltweiten Überfischung.