Nach Marathontagung erstmals wieder Abkommen in der WTO Von Christiane Oelrich, dpa

Die WTO-Chefin verliert mehrfach die Hoffnung, dass eine Einigung
gelingt. Doch kurz vor Sonnenaufgang kann sie am Freitag aufatmen:
Unter anderem soll ärmeren Ländern die Covid-Impfstoff-Produktion
erleichtert werden, Fischereisubventionen sollen begrenzt werden.

Genf (dpa) - Nach mehrtägigen zähen Verhandlungen fast rund um die
Uhr haben die 164 Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation (WTO)
erstmals seit Jahren wieder Abkommen unter Dach und Fach gebracht.
Sie einigten sich am frühen Freitagmorgen unter anderem auf
Vereinbarungen, um die Herstellung von Covid-Impfstoffen in mehr
Ländern zu ermöglichen und um Subventionen für illegale und
unregulierte Fischerei zu verbieten und damit die überfischten
Bestände zu schützen. Eine geplante Vereinbarung über den Agrarhandel

kam dagegen nicht zustande. Umwelt- und Entwicklungsorganisationen
kritisierten das neue Abkommen als unzureichend.

«Sie reisen nicht mit leeren Händen nach Hause», sagte WTO-Chefin
Ngozi Okonjo-Iweala zum Abschluss der Tagung, die schon am Mittwoch
zu Ende gehen sollte. Mangels Einigung hatte die 68-Jährige auf eine
Verlängerung gedrängt, weil sie ihre erste Ministertagung nicht als
Flop akzeptieren wollte. «Die WTO hat demonstriert, dass sie in der
Lage ist, auf die Herausforderungen unserer Zeit zu reagieren.»

Bei der Abschlusssitzung der Regierungsvertreter um 05.00 Uhr morgens
kam nicht nur langer Applaus auf, als der Konferenzvorsitzende
formell feststellte, das alle Mitgliedsländer die Vereinbarungen
mittragen. In dem vollgepackten Raum kam auch Feierstimmung auf:
Ministerinnen und Minister sowie Beamte und Diplomaten stimmten
spontan ein nachträgliches Geburtstagsständchen für Okonjo-Iweala und

einen weiteren Minister an. Sie war an ihrem eigentlichen Ehrentag,
am Montag, nach eigenen Angaben nicht in Feierlaune gewesen, weil sie
ein Scheitern der Konferenz fürchtete.

Vertreter der Zivilgesellschaft stimmten nicht in den Applaus ein.
«Es ist beschämend, dass die WTO-Mitglieder dem Versuch, eine
strauchelnde Institution und obszöne Unternehmensgewinne zu retten,
Vorrang gaben vor der Rettung von Menschenleben», meinte Melinda St.
Louis von der Organisation Public Citizen. Besonders die EU habe eine
von zahlreichen Ländern geforderte Aufhebung von Patentrechten
(TRIPS waiver) blockiert. Die getroffene Vereinbarung reiche nicht.

Die Minister einigten sich auch darauf, die WTO-Reformen mit einem
Arbeitsprogramm anzuschieben. Der teils brach liegende
Streitschlichtungsmechanismus soll in zwei Jahren wieder
funktionieren. Sie verlängerten eine Vereinbarung, vorerst keine
Zölle im internationalen digitalen Handel zu erheben.

Sie stimmten zudem zu, dass Einkäufe des Welternährungsprogramms
(WFP), das Hungernden in aller Welt mit Nahrungsmitteln hilft, nicht
durch Ausfuhreinschränkungen behindert werden sollen. Allerdings
ließen sie gleichzeitig das Türchen offen, genau dies zu tun, wenn es
dazu dient, die eigene Bevölkerung adäquat zu versorgen.

Die teils wenig konkreten Formulierungen, die viel Spielraum für
Interpretationen zulassen, waren ein Zeichen für die oft kniffligen
Verhandlungen. Neben den Einzelvereinbarungen gab es eine allgemeine
Abschlusserklärung mit diffusen Versprechungen wie diesen:. «Wir
bekennen uns dazu, auf nötige Reformen in der WTO hinzuarbeiten.
(...) Nach unserer Vorstellung sollen die Reformen alle Funktionen
verbessern.» Sie verstehe bis heute nicht, wie man stundenlang über
ein einzelnes Wort in einer Fußnote debattieren könne, sagte
Okonjo-Iweala unter dem Gelächter der Ministerinnen und Minister.

Greenpeace-Experte Jürgen Knirsch kritisierte, «alle strittigen
Themen wie Landwirtschaft, Fischerei, E-Commerce und TRIPS haben
Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Aber Klimaschutz und die Erhaltung
der Artenvielfalt tauchten in den Verhandlungen so gut wie gar nicht
auf». Aus Sicht von Nelly Grotefendt, Referentin für Handelspolitik
beim Forum Umwelt und Entwicklung, kamen auch gesundheitliche Themen
zu kurz. Gerade für den Bereich globale Gesundheit in Zeiten einer
Pandemie sei das Ergebnis besonders ernüchternd. Die Organisation
Brot für die Welt kritisierte, es gebe keine konkreten Vorschläge,
wie Entwicklungsländer unabhängiger von Nahrungsimporten werden. «Im

Mittelpunkt der Erklärung zur Ernährungssicherheit steht wieder mal
der altbekannte Aufruf zur Vermeidung von Exportrestriktionen», sagte
Francisco Mari, Agrarhandelsexperte der Organisation.