Hausärzte: Corona-Impfzentren im Sommer verzichtbar

Die Infektionszahlen steigen. Wie soll Deutschland sich auf die
kommenden Monate vorbereiten? Die Hausärzte fordern den
vorübergehenden Abbau von Impfkapazitäten. Ein Grünen-Experte
hingegen fordert eine Prüfung der bisherigen Booster-Empfehlungen.

Berlin (dpa) - Der Deutsche Hausärzteverband hält das Offenhalten der
Corona-Impfzentren im Sommer für verzichtbar. «Die Impfzentren stehen
deutschlandweit leer», sagte Verbandspräsident Ulrich Weigeldt den
Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Donnerstag). «Weswegen
sie jetzt den gesamten Sommer weiterbetrieben werden sollen,
erschließt sich überhaupt nicht.» Das koste viel Geld, das woanders
dringend gebraucht werde. «Die Hausärztinnen und Hausärzte haben
bewiesen, dass die Impfungen in den Praxen am besten aufgehoben
sind.» Mit Blick auf Bezirke oder Regionen mit niedrigen Impfquoten,
seien in der Vergangenheit zudem vielerorts gute Erfahrungen mit
mobilen Impfteams gemacht worden. «Das ist ein Modell, das sicherlich
auch im Hinblick auf den Herbst Sinn ergibt.»

Die Infektionen mit dem Coronavirus hatten in Deutschland zuletzt
wieder deutlich zugenommen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach
spricht von einer Sommerwelle und rechnet mit wenig Entspannung in
den kommenden Wochen. Der SPD-Politiker hatte RTL/ntv gesagt, er
halte «vierstellige Inzidenz-Zahlen für möglich». Zwar gebe es kein
en
Grund zur Panik, allerdings würden nach steigenden Zahlen künftig
auch die der Todesfälle wieder zunehmen. Das Gesundheitsministerium
arbeitet an einer Impfkampagne für die kommenden Monate.

Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen riet dazu, die
Empfehlungen zu Boosterimpfungen zu überprüfen. «Ich halte es vor dem

Hintergrund neuer wissenschaftlicher Daten für dringend erforderlich,
dass wir in Deutschland die Empfehlungen zur zweiten
Auffrischungsimpfung noch einmal prüfen und gegebenenfalls
rechtzeitig ausweiten», sagte Dahmen der «Rheinischen Post»
(Donnerstag). So könnten beispielsweise auch Menschen, die jünger als
70 Jahre seien und gerade auch diejenigen mit Risikofaktoren, vor dem
Herbst ein weiteres Impfangebot sowohl gegen Corona als auch gegen
Influenza bekommen. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt den
zweiten Booster bislang nur für Teile der Bevölkerung, unter anderem
für Menschen ab 70 Jahren, Personal in medizinischen Einrichtungen
und Pflegeeinrichtungen sowie Menschen mit Immunschwäche.

Im Frühjahr und Sommer, wenn viele Aktivitäten draußen stattfinden,
waren die Fallzahlen im bisherigen Pandemie-Verlauf stark
heruntergegangen. Experten verweisen zur aktuellen Entwicklung auf
den ansteckenderen Untertyp BA.5 der Omikron-Virusvariante, der
zuletzt in Deutschland zulegte. Zudem waren im vergangenen Sommer
Corona-Alltagsauflagen wie Maskenpflichten in Kraft. Jetzt sind
staatliche Vorgaben weitgehend weggefallen.

Grünen-Experte Dahmen mahnte in den Funke-Zeitungen: «Wenn wir
unvorbereitet in den Herbst gehen ohne ein breit angelegtes Programm
für Auffrischungsimpfungen und ohne eine Rechtsgrundlage, die
wirkungsvolle Maßnahmen wie Maskenpflicht in Innenräumen möglich
macht, dann müssen wir befürchten, dass es insbesondere in den
hochbetagten Altersgruppen nochmals viele Todesfälle zu beklagen
geben könnte.»

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte in der ARD-Talkshow
«Maischberger» laut Mitteilung: «Es muss sich niemand Sorgen machen.

Wir haben nach geltendem Recht alle Instrumente, über die gesprochen
wird.» Er verwies demnach insbesondere auf die sogenannte
Hotspot-Regelung.

Der Immunologe Carsten Watzl befand: «Wir haben aktuell zwei
Entwicklungen, die gegeneinander arbeiten. Zum einen ein saisonaler
Effekt, der die Zahlen drückt, und auf der anderen Seite mit Omikron
anders als in vergangenen Sommern eine Variante, die deutlich
ansteckender ist», sagte Watzl den Zeitungen der Funke Mediengruppe
(Donnerstag). Eine Sommerwelle sei zu erwarten gewesen. «Ich denke
aber nicht, dass BA.5 den saisonalen Effekt komplett aufheben wird.
Wahrscheinlich werden wir es mit Inzidenzen im Bereich von 500, 600,
700 zu tun haben. Dass wir, wie im letzten Winter, die 2000
erreichen, glaube ich nicht.»