Lauterbach sieht angespanntere Lage wegen Corona-«Sommerwelle»

Wenn bei Sonne vieles draußen läuft, gehen die Corona-Zahlen stark
herunter - so war es im vorigen Sommer. Nun zeigt der Trend der
Ansteckungen nach oben. Rufe nach Schutzvorkehrungen werden lauter.

Berlin (dpa) - In der Corona-Krise zeichnet sich nach Einschätzung
von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach diesmal auch über den
Sommer eine angespanntere Lage ab. «Die angekündigte Sommerwelle ist
leider Realität geworden. Das bedeutet auch für die nächsten Wochen
wenig Entspannung», sagte der SPD-Politiker der «Rheinischen Post»
(Mittwoch). «Weil die aktuelle Virusvariante sehr leicht übertragbar
ist und weil fast alle Vorsichtsmaßnahmen ausgelaufen sind,
verpufft in diesem Jahr der Sommereffekt in der Pandemie.» Laut
Robert Koch-Institut (RKI) nehmen Neuinfektionen weiter zu.

Die amtliche Sieben-Tage-Inzidenz gab das RKI am Mittwoch mit 472,4
an und damit fast doppelt so hoch wie vor einer Woche. Am Vortag
hatte der Wert der gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in
sieben Tagen bei 447,3 gelegen - vor einer Woche bei 238,1 und vor
einem Monat bei 452,4. Jedoch liefert die Inzidenz kein vollständiges
Bild der Infektionslage. Experten gehen seit einiger Zeit von einer
hohen Zahl unerfasster Fälle aus - auch weil nicht alle Infizierten
PCR-Tests machen, die nur in der Statistik zählen. Nachmeldungen oder
Übermittlungsprobleme können zu Verzerrungen von Tageswerten führen.


Lauterbach sagte RTL/ntv, dass er «vierstellige Inzidenz-Zahlen
für möglich» halte. Zwar gebe es keinen Grund zur Panik, allerdings
würden nach steigenden Zahlen künftig auch die der Todesfälle wieder

zunehmen.

Im Frühjahr und Sommer, wenn viele Aktivitäten draußen stattfinden,
gingen die Fallzahlen im bisherigen Pandemie-Verlauf stark herunter.
Experten verweisen zur aktuellen Entwicklung auf den ansteckenderen
Untertyp BA.5 der Omikron-Virusvariante, der zuletzt in Deutschland
zulegte. Zudem waren im vergangenen Sommer Corona-Alltagsauflagen wie
Maskenpflichten in Kraft. Jetzt sind staatliche Vorgaben weitgehend
weggefallen. Maskenpflichten gelten noch in Bussen und Bahnen und -
unabhängig von staatlichen Vorgaben - etwa in Kultureinrichtungen.

Die Stiftung Patientenschutz mahnte, es reiche nicht aus, dass der
Gesundheitsminister von einer Sommerwelle rede. «Damit die steigenden
Infektionszahlen sich nicht zu einem Tsunami für Pflegebedürftige und
Schwerstkranke entwickeln, muss Karl Lauterbach jetzt gegensteuern»,
sagte Vorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur. Es gelte,
Corona-Bürgertests über Juni hinaus zu verlängern. In der Altenpflege

müsse ein tägliches Testregime festgeschrieben werden. Zudem komme
ein «Impfstoff-Update» zu spät. «So laufen Impfaufrufe ins Leere.
»

Der Präsident der Diakonie, Ulrich Lilie, warnte: «Corona macht keine
Sommerferien.» Der Anstieg der Infektionszahlen sei «ein dringender
Weckruf», jetzt eine Gesamtstrategie für den Herbst zu entwickeln.
Die Koalition müsse die am 23. September auslaufenden Regelungen im
Infektionsschutzgesetz verlängern und wieder schärfen, damit es nicht
erneut zu vielen Arbeitsausfällen, vermeidbaren schweren Erkrankungen
und Todesfällen komme. Außerdem müssten Länder und Kommunen bei der

Digitalisierung der Gesundheitsämter Nägel mit Köpfen machen und in
Nachbarländern erfolgreich eingesetzte Software einführen, forderte
die Diakonie, der soziale Dienst der evangelischen Kirchen.

Kostenlose Bürgertests sind vorerst bis einschließlich 29. Juni
geregelt. Damit haben alle auch ohne Symptome Anspruch auf mindestens
einen Schnelltest pro Woche an Teststellen durch geschultes Personal
und mit Bescheinigung. Lauterbach hatte zudem ein Impfkonzept für
den Herbst angekündigt, mit dem es für alle Varianten, die kommen
könnten, den richtigen Impfstoff geben soll.

Der Minister bekräftigte, er empfehle Älteren und Vorerkrankten
dringend, sich noch einmal impfen zu lassen. «Das verhindert nicht
unbedingt eine Infektion, aber es verhindert schwere
Krankheitsverläufe.» Der Vorsitzende des Virchowbundes der
niedergelassenen Ärzte, Dirk Heinrich, sagte der «Rheinischen Post»:

«Wer noch nicht geimpft ist, sollte sich jetzt impfen lassen, um eine
schwere Erkrankung zu vermeiden.» Er wies ebenfalls darauf hin, dass
sich Ältere oder Menschen, die zu einer Risikogruppe gehören, eine
Auffrischungsimpfung abholen sollten.