Starkregen-Gefahr: Experten fordern bessere Vorsorge in Kommunen Von Christina Sticht, dpa
Überschwemmungen sind längst nicht mehr nur an großen Flüssen wie
Rhein oder Elbe zu befürchten. Infolge des Klimawandels steigt die
Wahrscheinlichkeit von heftigen Regenfällen, die Sturzfluten
verursachen können. Sind Städte und Gemeinden darauf vorbereitet?
Hannover (dpa) - Starkregen kann innerhalb von Minuten selbst
harmlose Bäche anschwellen lassen, Straßen überfluten und Häuser
zerstören. Tückisch ist, dass die Vorwarnzeit bei diesen
Unwetter-Ereignissen im Gegensatz zu einem Flusshochwasser vielfach
extrem kurz ist - trotz besserer Radar-Fernerkundung und verfeinerten
Vorhersagemodellen der Meteorologen. Umso wichtiger sei es, dass die
Informationsketten schneller und reibungsloser werden, sagt Thomas
Kratzsch, Leiter der Abteilung Beratungs- und Warndienste beim
Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach.
Ob und welche Fehler bei der Warnung vor der Flutkatastrophe im
Ahrtal 2021 begangen wurden, wird derzeit politisch und juristisch
aufgearbeitet. Durch Überschwemmungen als Folge des Starkregens im
vergangenen Juli kamen in Belgien und Deutschland mindestens 220
Menschen ums Leben. Laut DWD ist zwischen Mai und September vermehrt
mit Starkregen-Ereignissen zu rechnen, im Juli am häufigsten.
Die Wahrscheinlichkeit extremer Regenfälle hat sich nach Berechnung
eines internationalen Teams von Wissenschaftlern durch den
Klimawandel um das 1,2- bis 9-fache erhöht. Der Schwerpunkt ihrer
nach der Flutkatastrophe veröffentlichten Studie lag auf den Regionen
um Ahr und Erft sowie der Region um den Fluss Maas in Belgien.
Deutschland sei auf Starkregen-Ereignisse zu wenig vorbereitet,
beklagen Forscher. «Es reicht nicht, Sirenen auf die Dächer zu
stellen und Warn-Apps zu entwickeln», kritisiert Christian Kuhlicke
vom Helmholtz Zentrum für Umweltforschung (UFZ). Am Anfang stehe die
Kartierung: Welche Gefahren können wo auftreten? Mit welchen Folgen
für die Infrastruktur, die Gebäude? Dann müssten konkrete Maßnahmen
wie zum Beispiel Rückhaltebecken geplant werden. Auch
Evakuierungspläne seien notwendig.
Eine sehr große Fläche von Deutschland - die gesamte
Mittelgebirgs-Region - sei bei lokalen Starkregen-Ereignissen
gefährdet, betont der Professor für Umweltrisiken und Nachhaltigkeit
an der Universität Potsdam. In großen Städten müsse der Fokus vor
allem auf potenziell lebensbedrohliche Fallen wie etwa Keller,
Tiefgaragen sowie U-Bahn-Schächte liegen.
Die kürzlich vorgestellte Studie «Starkregen und urbane Sturzfluten -
Agenda 2030» der Technischen Universität Kaiserslautern mahnt
ebenfalls bessere Schutzvorkehrungen an. Städte und Gemeinden müssten
zu einem Starkregen-Risikomanagement verpflichtet werden und
Gefahrenkarten erstellen, fordert Theo Schmitt, einer der Autoren.
«Prävention spielt bisher eine zu geringe Rolle», kritisiert auch
Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen
Versicherungswirtschaft (GDV). Laut Asmussen werden im Ahrtal zum
Beispiel die meisten Häuser an den ursprünglichen Standorten neu
errichtet. «Wir sollten uns an Ländern wie der Schweiz orientieren,
wo in Risikogebieten nicht gebaut werden darf», sagt der
Verbandschef. Der GDV beobachtet anhand der Schadensmeldungen seit
Jahren eine steigende Starkregen-Gefahr. Mit 8,2 Milliarden Euro
entfiel der größte Teil der 9,6 Milliarden Euro an Elementarschäden
im gesamten Jahr 2021 laut GDV auf die Sturzflut im Sommer. Zum
Vergleich: 2020 lagen die Elementarschäden bundesweit bei 310
Millionen Euro.
Nach der Unwetter-Katastrophe im Juli 2021 hat ein Team von
Wissenschaftlern, darunter auch Kuhlicke vom UFZ, «Fünf Prinzipien
für klimasichere Kommunen und Städte» entwickelt. Unter anderem steht
die kritische Infrastruktur im Fokus - die Versorgung mit Wasser und
Strom, Krankenhäuser und Kitas müsse auch bei extremen Wetterlagen
funktionieren, heißt es. «Klimasicherheit von Gebäuden fördern» i
st
ein anderer Punkt.
Schon seit 2011 bietet die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft,
Abwasser und Abfall (DWA) sogenannte Starkregen-Audits für Kommunen
an. In der Regel kommt ein Expertenteam für zwei Tage in eine
Gemeinde und bringt alle an der Vorsorge beteiligten Akteure an einen
Tisch. Den Auftakt vor elf Jahren machte Köln, wenig später folgten
Braunschweig und Dresden - inzwischen haben 80 Kommunen von dem
Angebot Gebrauch gemacht. Einige Bundesländer wie Bayern fördern die
Audits finanziell.
«Ein Kernproblem ist, dass uns oft nur die Kommunen ansprechen, die
ohnehin schon ein stark ausgeprägtes Risikobewusstsein haben», sagt
Christian Siemon, der für die DWA Starkregen-Audits leitet. «Der
größte Handlungsbedarf besteht aber meist dort, wo man sich der
bestehenden Risiken nicht bewusst ist», sagt der Bauingenieur, dessen
Büro in Braunschweig auf Hochwasser-Vorsorge spezialisiert ist.
Siemon hält es für sinnvoll, dass sich Kommunen regional
zusammenschließen und bei der Starkregen-Prävention abstimmen - etwa
wenn sie am gleichen Bach- oder Flusslauf liegen.
Ein wichtiges Element der Vorsorge ist Experten zufolge, Gemeinden,
Städte und Landschaften wie Schwämme zu konzipieren und den
Wasserrückhalt in der Landschaft zu verbessern. In Leipzig wird
derzeit ein Stadtviertel für 3500 Menschen geplant, das für
Extremwetter-Ereignisse so gut wie möglich gewappnet sein soll.
Roland Müller ist Leiter des Projekts «Leipziger BlauGrün». «Ziel
ist, dass das gesamte Regenwasser im Quartier bleibt», erläutert der
Biotechnologe. Das Wasser werde unter anderem in Mulden, Behältern
und durch Gründächer gesammelt. Bei dem Konzept der Schwammstadt gehe
es auch darum, gespeichertes Wasser wieder zu nutzen, etwa um
Innenhöfe und Parkanlagen ganzjährig grün zu halten.
Bei Neubauten sei die wassersensible Planung einfacher als bei
Bestandssanierungen, sagt Müller. Gerade mit Blick auf ebenfalls
zunehmende Dürreperioden sei es für alle Städte sinnvoll, über
Wasserspeicherung nachzudenken. In Leipzig wird dem Projektleiter
zufolge voraussichtlich Mitte bis Ende 2023 Baubeginn für das neue
Quartier sein, das auf Hochwasser, Überschwemmungen, Starkregen und
Dürre optimal vorbereitet sein soll.