Untergetaucht im Impfgegner-Dorado: Mutter sucht Tochter in Paraguay Von Denis Düttmann, dpa

Seit einem halben Jahr hat die Frau das zehnjährige Mädchen nicht
mehr gesehen. Ihr Ex-Mann ist mit dem Kind in Südamerika auf der
Flucht - offenbar um eine Corona-Impfung zu verhindern. Paraguay ist
für viele Impfgegner und Querdenker ein Sehnsuchtsort.

Asunción (dpa) - Die Frau kämpft mit den Tränen. «Ich bin eine
verzweifelte Mutter», sagt sie bei einer Pressekonferenz in der
paraguayischen Hauptstadt Asunción. Dann bricht ihre Stimme. «Habt
ein Herz für unsere Mädchen und helft uns bei der Suche.» Seit einem

halben Jahr hat die Frau aus dem Ruhrgebiet ihre zehnjährige Tochter
nicht mehr gesehen. Ihr Ex-Mann hat sich mit dem Mädchen, seiner
neuen Frau und deren Tochter aus erster Ehe nach Südamerika
abgesetzt. Irgendwo in Paraguay halten sie sich versteckt.

Eine Verkäuferin in der Stadt Encarnación versichert, sich mit dem
gesuchten Deutschen untehalten zu haben, wie die parguyaische Zeitung
«ABC Color» am späten Donnerstag (Ortszeit) berichtet. «Bitte melde

dich und beende diese fürchterliche Situation», fleht die Mutter
ihren Ex-Mann an.

Das flüchtige Paar hat bei seiner Abreise im November 2021 der
suchenden Mutter zufolge einen Abschiedsbrief hinterlassen. Darin
schreiben sie, dass es in Deutschland keine Zukunft für die Mädchen
mehr gebe, dass sie sie nicht gegen das Coronavirus impfen lassen
wollen. Vor wenigen Tagen veröffentlichen die Flüchtigen eine
Videobotschaft. «Wir werden mittlerweile weltweit gesucht, wie
Schwerverbrecher, wie Mörder, wie Kriminelle», sagt der Mann darin.
Die Frau ergänzt: «Wir haben unsere Kinder nur schützen wollen. Wir
wollen nur, dass es unseren Kindern gut geht und jetzt wollt ihr uns
trennen.»

Die Polizei geht davon aus, dass die Familie in einer der zahlreichen
deutschen Kolonien in Paraguay untergetaucht ist, dort dürften sie
auf die Unterstützung von Gleichgesinnten bauen können. «Es gibt hier

sehr abgeschottete deutsche Gemeinschaften, das macht die
Ermittlungen so schwierig», sagte der stellvertretende Leiter des
Entführungsdezernats der paraguayischen Polizei, Mario Vallejos.

Paraguay kann auf eine lange Tradition von Einwanderung aus
Deutschland zurückblicken. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts kamen
viele Deutsche in das fruchtbare Land, um sich ein neues Leben
aufzubauen. Elizabeth Nietzsche, die Schwester des Philosophen
Friedrich Nietzsche, gründete mit ihrem Mann sogar eine Siedlung mit
dem Namen «Nueva Germania» (Neues Germanien) und träumte von einer
arischen Enklave im paraguayischen Hinterland.

Während der Corona-Pandemie entwickelte sich Paraguay dann zu einem
Dorado von Impfgegnern, Querdenkern und rechten
Verschwörungsideologen. Allein im vergangenen Jahr ließen sich nach
Angaben der paraguayischen Migrationsbehörde 3440 Deutsche in
Paraguay nieder. Die deutsche Botschaft in Asunción schätzt, dass
insgesamt etwa 26000 Deutsche in Paraguay leben.

Als Einwanderungsland ist Paraguay attraktiv, weil Ausländer vor
allem aus Europa recht einfach eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten
und auch Land oder Immobilien kaufen können. Für Impfgegner wurde
Paraguay während der Corona-Pandemie dann interessant, weil man
zunächst auch ohne Impfnachweis einreisen konnte. Viele Einwanderer
lassen sich in den traditionellen deutschen Gemeinden wie San
Bernardino, Hohenau und Bella Vista nieder. Zuletzt wurden aber auch
neue Siedlungen von Auswanderern aus dem deutschsprachigen Raum
gegründet.

Eine davon ist die Kolonie Paraíso Verde, die vor einigen Jahren von
dem österreichischen Ehepaar Erwin und Sylvia Annau in Caazapá
begründet wurde und die aktiv um deutsche Impfgegner als Neusiedler
wirbt. «Ich bin ein Querdenker, so lang ich denken kann», schreibt
Erwin Annau auf seiner Internetseite. Wegen Verstößen gegen die
Quarantänebestimmungen rückte in der Hochzeit der Pandemie die
Staatsanwaltschaft an und wunderte sich über bewaffnete Wachposten
vor den Toren der Siedlung.

Im Inneren blühen die Verschwörungsmythen: «Ich glaube, dass die
wenigsten Impfungen wirklich sinnvoll sind. Das ist nur ein
Geschäftsmodell», sagt Heilpraktiker Uwe, der im November 2020 von
Köln nach Paraíso Verde zog, in einem von der Organisation
veröffentlichten Video. «Ich traue der Pharmaindustrie nicht.»

Christian und Jessyca aus Hannover leben mit ihrer Tochter seit einem
halben Jahr in Paraíso Verde. «Die Politik in Deutschland
beispielsweise mit dem Infektionsschutzgesetz ist für die deutsche
Bevölkerung sehr problematisch», sagt Christian. «Die politische
Agenda mit der Ängstigung der Menschen ist ein Verbrechen.» Der
Ex-Soldat bezeichnet Paraguay mittlerweile als seine Heimat.

Zahlreiche Auswanderer sollen zuletzt aber dem Land auch wieder den
Rücken gekehrt haben. Sprachprobleme, geringe Verdienstmöglichkeiten,
das extreme Klima und Mentalitätsunterschiede treiben Auswanderer
zurück, wie es in einschlägigen Internetforen heißt. «Die Frage ist
,
ob die Leute sich integrieren. Die meisten lernen nicht wirklich
Spanisch, da hakt es dann», sagt Auswanderungshelferin Eveline Huber.
«Wer sich nicht integriert, wird schnell wieder zurückgehen.»

Die Einwanderung von erklärten Impfgegnern stößt ohnehin nicht bei
allen in Paraguay auf Gegenliebe. «Die meisten, die kommen, sind
nicht geimpft», sagte der Bürgermeister von Hohenau, Enrique Hahn,
kürzlich in einem Interview. «Sie müssen wissen, dass es auch hier
Gesetze gibt.» So mussten Einreisende zwischenzeitlich eine
vollständige Impfung gegen das Coronavirus nachweisen. Impfgegner
umgingen die Vorschriften allerdings Hahn zufolge teilweise, indem
sie von Bolivien über die grüne Grenze nach Paraguay kamen.

Die flüchtige Familie aus Deutschland wird nach Angaben der
paraguayischen Staatsanwaltschaft mittlerweile mit einem über die
internationale Polizeibehörde Interpol verbreiteten Haftbefehl wegen
Kindesentziehung weltweit gesucht. Die Polizei entdeckte zuletzt
einen zurückgelassenen Mietwagen in der Ortschaft Bella Vista nahe
der argentinischen Grenze und verhörte den Vermieter des Autos. «Wir
glauben, dass sie sich noch im Land befinden», sagt Staatsanwältin
Carina Sánchez. «Wir wollen, dass die Mädchen sicher und gesund sind,

und einen Weg zum Dialog finden, um die Situation zu klären.»

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