Frage der Gerechtigkeit: Zahlen Eltern zu hohe Sozialbeiträge? Von Marco Krefting, dpa

Wie viel ist es wert, dass Eltern Zeit und Geld für ihre Kinder
investieren? Und inwiefern muss das bei den Beiträgen für Kranken-,
Pflege- und Rentenversicherung berücksichtigt werden? Mit Spannung
wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwartet.

Karlsruhe (dpa) - Das Thema hat Spaltpotenzial, das hat Markus Essig
schon erfahren. Er und seine Frau haben sich mit anderen Familien
durch die Instanzen geklagt, um Beitragssenkungen für Eltern in den
Sozialversicherungen zu erstreiten. Manche Reaktionen seien deutlich
unter der Gürtellinie gewesen, berichtet Essig. «Nach dem Motto: Das

Kindermachen hat euch Spaß gemacht - und jetzt wollt ihr Geld.»

Seit 16 Jahren ist Essig in der Sache unterwegs, wie er sagt.
Unterstützt vom Familienbund der Katholiken in der Erzdiözese
Freiburg. Inzwischen haben die Kläger und Klägerinnen
Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie
sind der Meinung, dass die Zahl der Kinder beim Beitrag zur
gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung berücksichtigt
werden müsse - Eltern also weniger zahlen sollten als Versicherte
ohne Kinder. Das höchste deutsche Gericht will an diesem Mittwoch
(9.30 Uhr) seine Entscheidung dazu verkünden. (Az. 1 BvL 3/18 u.a.)

Wie ist die aktuelle Rechtslage?

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Fall der Pflegeversicherung
2001 geurteilt, es sei nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren, dass
Eltern einen genauso hohen Beitragssatz zahlen wie Kinderlose. Denn
sie leisteten mit der Betreuung und Erziehung der Kinder einen
«generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten
Sozialversicherungssystems». Die Beitragssätze wurden infolgedessen
geändert. Seit Anfang dieses Jahres liegt jener für Eltern bei 3,05
Prozent des Bruttoeinkommens, der für Kinderlose bei 3,4 Prozent. Bei
Renten- und Krankenversicherung wird hier kein Unterschied gemacht.

Das Bundessozialgericht hat in mehreren Urteilen entschieden, dass
das rechtens sei. Demnach ist es legitim, wenn der Gesetzgeber die
Kindererziehung nicht überall in Form niedrigerer Beiträge
berücksichtigt, sondern durch Leistungen ausgleicht. Dazu gehörten
kostenlose Schulen und die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in
der Rentenversicherung.

Wie argumentieren die klagenden Familien?

Aus Sicht der Klägerinnen und Kläger greift das zu kurz. «Man kann
das eine nicht mit dem anderen verrechnen», sagt Essig. Entlastet
werden müsse im selben System, in das eingezahlt werde.

Anwalt Ernst Jürgen Borchert argumentiert unter anderem mit doppeltem
Konsumverzicht, den die Menschen zugunsten des Unterhalts der eigenen
Elterngeneration als auch der nachwachsenden Generation leisteten.
Staatsrechtler Prof. Thorsten Kingreen von der Uni Regensburg,
ebenfalls Prozessbevollmächtigter, verweist beispielsweise auf die
deutlich niedrigeren Altersrenten für Frauen. «Am Schluss kriegt man
die Bilanz, was man geleistet haben soll, wenn man Kinder erzieht.»

Der katholische Familienbund rechnet vor, dass es eine Mär sei, dass
Kinder in der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei
mitversichert sind. Denn der Beitrag geht vom Gesamteinkommen des
versicherten Elternteils ab. Einen Unterschied würde es erst machen,
wenn zunächst Geld für die Familienmitglieder vom Einkommen abgezogen
würde. Um sein Bestreben zu verdeutlichen, hat der Familienbund die
Kampagne «Elternklagen» ins Leben gerufen. Den Forderungen haben sich
den Angaben nach mehr als 2000 weitere Eltern angeschlossen.

Was sagt die Bundesregierung?

Die Bundesregierung beteuert, nach dem Urteil vor 21 Jahren
sorgfältig mögliche Auswirkungen auf Renten-, Kranken-, Unfall- und
Arbeitslosenversicherung geprüft zu haben. Doch die Differenzierung
zwischen Versicherten mit und ohne Kindern habe nicht übertragen
werden müssen, erklärt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums.

Die Allgemeinheit habe ein Interesse an der Betreuungs- und
Erziehungsleistung von Familien. Wenn der Bedarf aber nicht innerhalb
eines bestimmten sozialen Versicherungssystems berücksichtigt werden
könne, müssten Kosten der Kinderbetreuung und -erziehung als
gesamtgesellschaftliche Aufgabe ausgeglichen werden - etwa im Rahmen
des Familienleistungsausgleichs im Steuerrecht. Hinzu kämen etwa
Verbesserungen bei der Betreuungs- und Erziehungsinfrastruktur.

Wie sehen das die Versicherungen?

Der GKV-Spitzenverband ist zwar der Ansicht, dass Familien ein
Lastenausgleich zustehe. Dies sei aber eine versicherungsfremde
Leistung. Zudem sei unklar, ob die Kinder später in dieselben
Sicherungssysteme einzahlen, aus denen Eltern entlastet würden. Das
wäre zum Beispiel dann nicht der Fall, wenn der Nachwuchs in ein
anderes Land zieht und sich dort versichert. Besser wäre es aus Sicht
des Verbands daher, die Entlastung über das Kindergeld zu lösen.

Welche Folgen kann die Entscheidung haben?

Die Auswirkungen der Karlsruher Entscheidung lassen sich vorab schwer
abschätzen. Das Gericht hat noch nichts zum Ausgang durchblicken
lassen. Denkbar ist, dass die Richterinnen und Richter die Rechtslage
als verfassungskonform ansehen. Dann würde sich nichts ändern.

Der Erste Senat um Gerichtspräsident Stephan Harbarth könnte aber
auch entscheiden, dass die Differenzierung zwischen Kinderlosen und
Eltern wie in der Pflegeversicherung auf Kranken- und
Rentenversicherung übertragen werden muss. Sprich: Eltern müssten
dann weniger zahlen als Menschen ohne Kinder. In diesem Fall sowie
dann, wenn sogar die konkrete Anzahl der Kinder eine Rolle spielen
sollte, wären Bundesregierung und Bundestag gefragt: Sie müssten die

Gesetze ändern. Davon hinge ab, ob Millionen von Eltern entlastet
werden oder all den Versicherten ohne Nachwuchs höhere Kosten drohen.

Freiburger kämpft für nächste Generation

Für Kläger Markus Essig aus Freiburg hat die Entscheidung keine
unmittelbaren Folgen. Das jüngste seiner drei Kinder ist mittlerweile
27 Jahre alt. Doch er will auch weitermachen, sollte der Senat den
Rechtsstreit an ein Sozialgericht zurückverweisen.

Nicht zuletzt beschäftigt das Thema inzwischen auch seine Kinder: Die
ersten Enkel hat der Diakon schon, zwei weitere sollen in Kürze das
Licht der Welt erblicken. «Die kriegen das jetzt hautnah mit», sagt
Essig. Und ergänzt mit einem Schmunzeln: «Offensichtlich hat die
Situation sie aber nicht so sehr abgeschreckt.»