Zuckerbrot und Peitsche: Impfpflicht und Impf-Lotterie in Österreich Von Matthias Röder, dpa

Lange Zeit wurde sie ausgeschlossen, jetzt kommt sie doch - die
allgemeine Corona-Impfpflicht in Österreich. Das Land geht in der EU
damit so weit wie bisher kein anderes Mitglied. Der Erfolg der
Maßnahme ist ungewiss.

Wien (dpa) - Mit einer umfassenden Impfpflicht will sich Österreich
gegen künftige Corona-Wellen wappnen. Das Parlament segnete den in
der Öffentlichkeit kontrovers diskutierten Schritt am Donnerstag mit
breiter Mehrheit ab. Österreichs Gesundheitsminister Wolfgang
Mückstein (Grüne) verteidigte die Impfpflicht als Akt der
Solidarität. «Je mehr Menschen eine Corona-Schutzimpfung haben, desto
weniger sterben an den Folgen einer Corona-Pandemie», sagte der
Minister am Donnerstag im Parlament. Bis auf die rechte FPÖ trägt die
Opposition die Maßnahme mit. Der Schritt ist die bisher
weitreichendste Regelung in der EU. Italien und Griechenland haben
eine Impfpflicht lediglich für ältere Menschen.

Die Regierung agiert mit Zuckerbrot und Peitsche. Denn mit der
Impfpflicht wurde auch ein milliardenschweres Paket von Anreizen
verabschiedet. Eine Impf-Lotterie soll die Bereitschaft zur
Immunisierung steigern. Laut Regierung sind pro Teilimpfung 500 Euro
zu gewinnen, die als Gutscheine in der Gastronomie oder im Handel
eingelöst werden können.

Teilnehmen können nicht nur Spätentschlossene, sondern auch jene, die
schon geschützt sind. Rund jeder zehnte Stich soll so belohnt werden.
Für Gemeinden mit einer Impfquote von 80 Prozent werden insgesamt 75
Millionen Euro ausgeschüttet, bei 85 Prozent 150 Millionen, und bei
90 Prozent 300 Millionen Euro. In Summe stünden bis zu 1,4 Milliarden
Euro zur Verfügung, sagte Kanzler Karl Nehammer von der konservativen
ÖVP.

Die Impfpflicht soll für alle Bürger gelten, die mindestens 18 Jahre
alt sind. Ausnahmen sind vorgesehen für Schwangere sowie alle, die
sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen dürfen. Auch
Genesene sind bis 180 Tage nach der Erkrankung von der Impfpflicht
befreit. Bei Verstößen gegen die Verpflichtung drohen
einkommensabhängige Strafen von bis zu 3600 Euro. Der Bundesrat, also
die Länderkammer, muss dem Gesetz voraussichtlich am 3. Februar
ebenfalls noch zustimmen - das gilt aber als Formsache.

Auch die Chefin der oppositionellen Sozialdemokraten stellte sich
hinter den Plan. «Die Impfung rettet Leben, das eigene und das Leben
anderer», sagte die SPÖ-Vorsitzende und Epidemiologin Pamela
Rendi-Wagner. Die liberalen Neos forderten einen Fahrplan für die
Aufhebung der Freiheitsbeschränkungen. Die rechte FPÖ ist als einzige
Parlamentspartei gegen den Schritt. «Die Einführung dieses Zwangs ist
ein gigantischer Anschlag auf die Freiheit der Menschen in
Österreich, ein Attentat auf die Menschenwürde der Bevölkerung»,
sagte FPÖ-Chef Herbert Kickl.

Das Gesetz soll in mehreren Stufen umgesetzt werden. Erst ab Mitte
März sind stichprobenartige Kontrollen durch die Behörden vorgesehen.
So soll zum Beispiel die Polizei bei ihren Einsätzen auch den
Impfstatus überprüfen. Vonseiten der Polizeigewerkschaft gab es wegen
dieser zusätzlichen Aufgabe auch Kritik. Die ursprünglich geplante
lückenlose Kontrolle durch einen Abgleich des Melderegisters mit dem
Impfregister ist nur noch als Möglichkeit vorgesehen. Diese Maßnahme
soll davon abhängig gemacht werden, ob die Impfquote wie erhofft
deutlich steigt.

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) bezeichnete eine Quote
von 85 bis 90 Prozent unter der impfbaren Bevölkerung ab fünf Jahren
als Ziel. Aktuell liegt sie bei rund 75 Prozent. Die Impfquote der
Gesamtbevölkerung liegt bei 72 Prozent.

Die Regierung aus ÖVP und Grünen hatte eine Impfpflicht lange
ausgeschlossen. Ein Strategiewechsel erfolgte im November 2021 in der
vierten Corona-Welle. Der damals erneut verhängte dreiwöchige
Lockdown soll die letzte Ausgangsbeschränkung gewesen sein, so die
Hoffnung.

Der ursprüngliche Gesetzentwurf wurde auch unter dem Eindruck einer
Rekordzahl von Stellungnahmen in seinem Charakter noch wesentlich
geändert. Statt von einem Automatismus sei das Gesetz nun von
Flexibilität geprägt, hieß es jüngst bei einer Parlamentsanhörung
.

«Ich kann mich kaum an ein Gesetz erinnern, das derart aufwendig
vorbereitet wurde», sagte der Verfassungsjurist Heinz Mayer der
Deutschen Presse-Agentur. Die bis Mitte März geltende Frist, die
Impfung straffrei nachholen zu können, sei angemessen. Flexibel sei
der Gesundheitsminister auch beim Kreis der zugelassenen Impfstoffe,
deren Auswahl nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgen
könne. Zwar würden Impfgegner wohl zig Tausende von Verfahren
anstrengen, aber sie müssten dies jeweils gut begründen. «Zu sagen,
«Ich lasse mich nicht impfen, das Gesetz ist verfassungswidrig», das
reicht nicht», so Mayer.

Auch auf europäischer Ebene seien im Streitfall die juristischen
Aussichten gut. «Die Chancen sind intakt, dass es vor dem
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hält», sagte Mayer.