Regierung rechnet mit Hunderttausenden Neuinfektionen pro Tag

Hunderttausende Menschen dürften sich in Deutschland bald neu mit
Corona infizieren - jeden Tag. Die Folgen für die Kliniken sind
unkalkulierbar. Die Union mahnt den Gesundheitsminister in der
angespannten Lage zu klarer Kommunikation der Regeln.

Berlin (dpa) - Deutschland wird nach Einschätzung von
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Mitte Februar
wahrscheinlich mit mehreren Hunderttausend Corona-Neuinfizierten pro
Tag konfrontiert sein. Am Donnerstag zählte das Robert Koch-Institut
bereits über 133 000 Neuinfektionen. Für Mitte, Ende Februar erwartet

Lauterbach eine neue Belastungsprobe für die Krankenhäuser. Am Montag
wollen Bund und Länder auf Spitzenebene über weitere Schutzmaßnahmen

beraten. Lauterbachs Gesundheitsministerium zog heftige Kritik aus
der Union auf sich - der Vorwurf: Jüngste Änderungen beim
Genesenenstatus und beim Impfstatus von Menschen mit Erstimpfung des
Präparats von Johnson&Johnson seien nicht klar mitgeteilt worden.

Lauterbach sagte am Mittwochabend in der ZDF-Sendung «Markus Lanz»,
Szenarien mit einem rasante Anstieg der Fallzahlen «haben die größt
e
Wahrscheinlichkeit». Andere Länder könnten solch hohe Zahlen
verkraften. «Da wir in Deutschland eine hohe Zahl von Ungeimpften bei
den Älteren haben, kann es bei uns ganz anders ausgehen als
beispielsweise in Italien, Frankreich oder England.» 

Die Zahlen in Deutschland schnellen weiter rasant in die Höhe. Die
Sieben-Tage-Inzidenz stieg am Donnerstag erstmals über 600 - der Wert
lag bei 638,8 registrierten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner
innerhalb einer Woche. Lauterbach hatte gesagt, die Dunkelziffer
liege etwa bei Faktor zwei.

Lauterbach sagte: «Die richtige Belastung auf den Intensivstationen
würde ich Mitte, Ende Februar erwarten, das ist noch ein Monat hin
und dann hoffe ich, dass es dann noch gut aussieht.» 

Angesichts knapper werdender PCR-Tests will Lauterbach Beschäftigte
in sensiblen Gesundheitseinrichtungen bei der Laborauswertung
bevorzugen. «Wir werden tatsächlich so hohe Fallzahlen bekommen, dass
wir die PCR verteilen müssen, priorisieren müssen, dazu werde ich am
Wochenende einen Vorschlag vorlegen, wie das passieren soll»,
kündigte Lauterbach an. Ein Verordnungsentwurf sieht «eine vorrangi
ge
Befundung von Probenmaterial von Beschäftigten mit Kontakt zu
besonders vulnerablen Personengruppen» vor. Die Beschlussvorlage soll
laut Lauterbach am Montag bei der Ministerpräsidentenkonferenz
beschlossen werden.

Deutsche Kliniken dringen auf mehr Tempo für eine Impfpflicht. «Wir
haben die große Sorge, dass die Politik den richtigen Zeitpunkt für
eine Impfpflicht verpasst und wir bei der nächsten Variante wieder
vor den gleichen Problemen in den Krankenhäusern stehen», sagte der
Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft Gerald
Gaß der «Augsburger Allgemeinen». Auch Bundesjustizminister Marco
Buschmann (FDP) spricht sich für eine «zügige Entscheidung» aus, wi
e
er der «Passauer Neuen Presse» sagte.

Heftige Kritik an der Kommunikation von Lauterbachs Ministerium kam
aus der Union. Stein des Anstoßes sind eine Verkürzung der
Geltungsdauer des Genesenenstatus von sechs Monate auf 90 Tage sowie
die Änderung, dass man nach einer Johnson&Johnson-Erstimpfung erst
mit einer zweiten Impfung als voll geschützt gilt. Bisher reichte
eine Impfung. Die Änderungen waren lediglich auf den Internetseiten
des Robert Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Institut bekannt
gemacht worden, nachdem eine vom Gesundheitsressort auf den Weg
gebrachte Verordnung diese Behörden dazu die Kompetenz gegeben hatte.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sagte der
«Welt»: «Wir müssen versuchen, die Menschen mit Argumenten zu
gewinnen und nicht, indem wir sie überrumpeln.» Er sei nicht mehr
bereit, ein Verfahren im Bundesrat mitzutragen, «bei dem man die
konkreten Konsequenzen nicht kennt». Saarlands Ministerpräsident
Tobias Hans (CDU) sagte dem Blatt, zwar sei es richtig, sich nach den
jeweils neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu richten. Doch es
reiche dafür nicht, «eine Regeländerung auf seine Website zu
schreiben».