Johnson unter Druck - Vorwürfe wegen Erpressung von Abgeordneten

Er schien schon zu taumeln, dann berappelte sich der britische
Premier Johnson noch einmal mit einem kämpferischen Auftritt im
Parlament. Doch schon am Tag danach gibt es neue Vorwürfe.

London (dpa) - Im Skandal um Lockdown-Partys im Regierungssitz
Downing Street schafft es der britische Premierminister Boris Johnson
nicht aus den Negativschlagzeilen. Nachdem er sich tags zuvor mit
einem kämpferischen Auftritt im Parlament ein wenig Luft verschafft
hatte, kamen am Donnerstag Vorwürfe über angebliche
Erpressungstaktiken gegen aufsässige Tory-Abgeordnete auf. Neue
Enthüllungen wecken zudem weiter Zweifel an Johnsons Aufrichtigkeit.

Er habe Berichte über die Erpressung von Abgeordneten erhalten, sagte
der Vorsitzende des Verwaltungs- und Verfassungsausschusses im
Unterhaus, William Wragg, am Donnerstag. Konservative
Parlamentsmitglieder, die im Verdacht stünden, dem Premier die
Gefolgschaft zu versagen, seien von Regierungsmitarbeitern mit der
Veröffentlichung kompromittierenden Materials in der Presse bedroht
worden. Der am Mittwoch zur Labour-Opposition übergelaufene
Abgeordnete Christian Wakeford gab an, ihm sei gedroht worden, die
Mittel für eine Schule in seinem Wahlbezirk würden nicht bewilligt
werden, sollte er nicht mit der Regierung abstimmen.

Der Ausschussvorsitzende Wragg gehört selbst der Tory-Partei an und
zählt zu Johnsons Kritikern. Er riet dazu, bei der Polizei Anzeige zu
erstatten. Auch Parlamentspräsident Lindsay Hoyle zeigte sich
beunruhigt. Wer versuche, Abgeordnete durch Drohungen an der Ausübung
ihrer Tätigkeit zu hindern, mache sich der Missachtung des Parlaments
schuldig, sagte Hoyle. Johnson versprach, die Vorwürfe zu prüfen,
betonte jedoch, er habe dafür bisher keine Beweise gesehen.

Der Premier gilt wegen der unaufhörlichen Enthüllungen über
Lockdown-Partys im Regierungssitz Downing Street schon als angezählt.
Am Mittwoch hatte er sich bei der Fragestunde im Parlament
kämpferisch gezeigt und damit etwas Zeit gekauft, wie es scheint.

Der als «Pork Pie Plot» (etwa: Schweinepasteten-Komplott) bezeichnete
Versuch einer Gruppe von Tory-Abgeordneten, ein Misstrauensvotum
gegen ihn einzuleiten, scheiterte vorerst. Bislang wurde die Hürde
von 54 Befürwortern noch nicht erreicht. Sogar der Aufsehen erregende
Übertritt Wakefords zur Labour-Opposition scheint die Rebellion eher
etwas geschwächt als gestärkt zu haben. Zudem dürfte Johnson die
angekündigte Aufhebung aller Corona-Maßnahmen zumindest in bestimmten
Kreisen wieder etwas Rückhalt verschafft haben.

Doch der Premier musste auch Federn lassen: «In Gottes Namen, gehen
Sie!» hatte ihm der frühere Brexit-Minister und Tory-Veteran David
Davis bei der Parlamentssitzung entgegengeschmettert. Die
aufsehenerregende Rücktrittsforderung habe Johnson «beschädigt»,
räumte Gesundheitsminister Sajid Javid am Donnerstag im Sender Sky
News ein. Er warb darum, die interne Untersuchung zur
«Partygate»-Affäre um Lockdown-Partys im Regierungssitz abzuwarten,
die kommende Woche erwartet wird.

Javid räumte ein, dass Johnson zurücktreten müsse, falls der Bericht

der ranghohen Beamtin Sue Gray ihm Fehler nachweise. Die Vorschriften
seien klar. «Falls ein Kabinettsmitglied, beginnend beim Premier, das
Gesetz bricht, sollte es natürlich nicht weiter im Kabinett dienen»,
sagte Javid. «Es gibt keine Ausnahme von dieser Regel.» Johnson
selbst wich Fragen nach Konsequenzen zu dem Bericht bei einem
Interview am Donnerstag aus. Doch die geplante Veröffentlichung der
Ergebnisse aus der internen Untersuchung scheint immer mehr zur
Stunde der Wahrheit für den Premier zu werden. Schon jetzt gibt es
Berichte, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob Johnson tatsächlich
wie behauptet im Vorfeld nichts über Lockdown-Partys im
Regierungssitz wusste.