Über 100 000 neue Corona-Fälle - Ruf nach schärferen Regeln Von Basil Wegener, Sascha Meyer und Valentin Frimmer, dpa

Die Infektionszahlen in Deutschland explodieren. Die Regierung
fürchtet eine erneute gefährliche Zuspitzung der Lage in den
Krankenhäusern. Aus der Koalition kommt der Ruf nach strengeren
Regeln für die Bevölkerung.

Berlin (dpa) - Mit mehr als 100 000 registrierten Neuinfektionen an
einem Tag erreicht die Corona-Welle in Deutschland bislang unbekannte
Höhen. Die Bundesregierung rechnet mit einem weiteren Anstieg. «Wir
werden noch höhere Fallzahlen bekommen», sagte
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Mit «mittelfristig
erheblichen Auswirkungen aufs Gesundheitssystem» durch mehr
Intensivpatientinnen und -patienten ist laut seinem Ministerium zu
rechnen. Bund und Länder sollten aus Sicht des
Grünen-Gesundheitsexperten Janosch Dahmen jetzt mit der Vorbereitung
zusätzlicher Maßnahmen beginnen.

«Ich glaube, dass wir den Höhepunkt der Welle wahrscheinlich Mitte
Februar erreichen werden», sagte Lauterbach am Dienstagabend in der
Sendung «RTL Direkt». Die Gesundheitsämter übermittelten dem Robe
rt
Koch-Institut nach Angaben vom Mittwoch 112 323 neue Fälle in 24
Stunden. Es gab 239 Todesfälle. Die Sieben-Tage-Inzidenz erreichte
mit 584,4 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und Woche ebenfalls
einen Höchststand. Die Dunkelziffer dürfte bei der Inzidenz etwa beim

Faktor zwei liegen, sagte Lauterbach.

Bislang spiegelt sich die von der Virusvariante Omikron ausgelöste
Welle nicht auf den Intensivstationen wieder. Dort ist die Zahl der
Corona-Patienten laut Medizinervereinigung Divi seit der ersten
Dezemberhälfte von rund 5000 auf zuletzt 2664 gesunken. Momentan
infizieren sich vergleichsweise wenig Ältere, die besonders anfällig
für schwere Verläufe sind.

«Omikron ist milder, aber nicht mild», sagte der Abgeordnete Dahmen
der Deutschen Presse-Agentur. «Von der derzeitigen Lage in den
Krankenhäusern dürfen wir uns nicht täuschen lassen. Erst in
frühestens zwei Wochen wird die Omikron-Wand die Krankenhäuser
erreichen.» Aus anderen Ländern wisse man: Die Omikron-Welle komme
später in den Kliniken an als andere Wellen davor.

Dahmen forderte: «In Innenräumen, in denen keine FFP2-Maske getragen
werden kann, wäre die Ausweitung der 2G-plus-Regel sinnvoll.» Kanzler

Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidenten wollen am Montag erneut
über die Corona-Lage beraten. Zuletzt hatten sie beschlossen, dass
beim Zugang zur Gastronomie grundsätzlich auch Geimpfte und Genesene
(2G) getestet oder dreifachgeimpft sein müssen (2G plus).

Für ungeimpfte Genesene kann unterdessen die jüngste Verkürzung d
er
Geltungsdauer des Genesenennachweises zum Problem werden. Denn für
ältere Nachweise gibt es laut Gesundheitsministerium keinen
Bestandsschutz. Seit Samstag gilt der Genesenenstatus nur noch für
eine Zeitspanne zwischen 28 und 90 Tagen nach einem positiven
PCR-Test. Die Begründung ist laut RKI, dass Ungeimpfte bei Omikron
nach einer Infektion weniger und kürzer Schutz vor einer erneuten
Infektion haben. Nachweise von Anfang Oktober zum Beispiel sind damit
jetzt abgelaufen. 

Die Gesundheitsminister der Länder hatten das Bundesministerium
gebeten, Übergangsregelungen für Betroffene zu erarbeiten - etwa
wegen gebuchter Reisen oder den Zugang zu Veranstaltungen.

Lauterbach sprach sich für ein schnelles Inkrafttreten einer
allgemeinen Impfpflicht aus. Die Impfpflicht müsse schnell kommen.
«Wenn wir einen Antrag machen wollen, der noch funktioniert, dann ist
das ein Antrag, der die Impfpflicht in Kraft setzt - was weiß ich -
im April oder um den April herum, vielleicht im Mai.» Bis Ungeimpfte
dann drei Impfungen hätten, sei es September oder Oktober. Abgewendet

werden solle schließlich eine nächste Corona-Welle im Herbst, wie sie
von Virologen ohne eine ausreichende Gesamtimmunisierung erwartet
wird.

Derzeit geht die Zahl der täglichen Corona-Impfungen wieder zurück.
Sie lag am Dienstag bei 589 000 verabreichten Impfdosen - am Dienstag
vor Weihnachten waren es 1,2 Millionen. Mindestens 72,9 Prozent der
Bevölkerung (60,5 Mio) sind laut RKI grundimmunisiert, haben also in
der Regel zwei Impfdosen.

Hier hat sich die Bezeichnung geändert, bisher hatte das RKI von
«vollem Impfschutz» gesprochen. Da gerade bei Omikron die
Boosterimpfung für einen besseren Impfschutz aber als nötig gilt, war
zuletzt auch Lauterbach von drei Dosen für eine vollständige Impfung
ausgegangen. Die Grundimmunisierung soll laut einem Sprecher aber
weiter für die Einhaltung von 2G- oder 3G-Regeln ausreichen. Eine
zusätzliche Auffrischungsimpfung haben 48,3 Prozent der Bevölkerung
(40,1 Mio) erhalten. 

Knapp jede und jeder Vierte - 20,6 Millionen Menschen - sind bisher
nicht geimpft. Davon gibt es für die 4,0 Millionen Kinder unter fünf
Jahren noch kein Impfstoff.

Angesichts knapper werdender PCR-Tests sollen Beschäftigte in
sensiblen Gesundheitseinrichtungen bei der Laborauswertung wie
angekündigt bevorzugt zum Zuge kommen. Nötig sei «eine vorrangige
Befundung von Probenmaterial von Beschäftigten mit Kontakt zu
besonders vulnerablen Personengruppen», heißt es in einem
Verordnungsentwurf des Gesundheitsministeriums.

Sorge bereitet der Regierung, dass es «noch weitere Wellen» kommen
können, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte. Lauterbach
sagte, «die Wahrscheinlichkeit, dass wir im Herbst keine neue
Variante haben», sei sehr gering. Man sehe jetzt schon dauernd neue
Varianten, die sich aber nicht durchsetzen würden. Die Gefahr sei,
dass es eine «rekombinierte Variante» mit der Gefährlichkeit der

Delta-Variante und der Übertragbarkeit von Omikron geben werde.