Missbrauch in Priesterorden: Ratzinger streitet frühe Kenntnis ab

Rom (dpa) - Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat seinem
Privatsekretär zufolge abgestritten, persönlich von einem Priester
auf Missbrauchsfälle beim Orden Legionäre Christi hingewiesen worden
zu sein. Ein Ex-Mitglied des strengkonservativen Ordens soll Joseph
Ratzinger nach eigener Aussage persönlich ein Dossier über
Missbrauchsopfer in Rom überreicht haben, wie die Wochenzeitung «Die
Zeit» (Donnerstag) schreibt. Ratzingers Privatsekretär,
Kurienerzbischof Georg Gänswein, widerspricht dem auf Nachfrage des
Blattes: «Nein, das ist nicht richtig.»

Die Episode geht auf die Zeit um 2004 zurück. Damals stand Kardinal
Ratzinger noch als Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation
vor, die sich unter anderem mit Missbrauchsfällen beschäftigt.
Gänswein erklärte außerdem, es sei nicht zutreffend, dass Ratzinger
wenige Jahre zuvor schon durch Missbrauchsopfer selbst auf die
Priestergemeinschaft aufmerksam gemacht wurde.

Der bekannteste Täter des in Mexiko gegründeten Ordens war der
Gründer Marcial Maciel Degollado (1920-2008). Er soll mindestens 60
Kinder und Jugendliche missbraucht haben. Zudem brach er das
Zöllibat, zeugte Kinder und führte damit ein Doppelleben. Der heute
94 Jahre alte Benedikt leitete Anfang 2005 Untersuchungen gegen ihn
ein, wie Gänswein weiter bekräftigt.

Als Ermittler sei Promotor Iustitiae Charles Scicluna damals in die
USA und nach Mexiko für Gespräche mit mutmaßlichen Missbrauchsopfern

geschickt worden, schreibt Autor und Filmemacher Christoph Röhl im
Artikel der «Zeit» unter Berufung auf Gänswein weiter. Scicluna sei
mit Vernehmungsprotokollen und einer Zeugenliste nach Rom
zurückgekommen, die Benedikt XVI. - zu diesem Zeitpunkt schon Papst -
kannte.

Die Untersuchung sei danach «konsequent weitergeführt» worden und
habe «schlussendlich zur öffentlichen Aufklärung der Missbrauchstaten

sowie umfangreichen Sanktionen und Funktionsenthebungen» geführt,
sagte Gänswein der Zeitung stellvertretend für den emeritierten
Papst, der im Vatikan-Kloster Mater Ecclesiae lebt.

Am Donnerstag wird in München ein Gutachten zum Umgang mit
Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising erwartet. Dort
war Ratzinger vor seiner Zeit in der Glaubenskongregation Erzbischof.
Einen besonderen Platz dürfte darin der Fall des Priesters H.
einnehmen. Ratzinger wird vorgeworfen, von der
Missbrauchsvergangenheit H.s gewusst zu haben, als er ihn einstellte.
Gänswein wies das jüngst in der «Zeit» entschieden zurück: «Die

Behauptung, er (Benedikt) hätte Kenntnis von der Vorgeschichte zum
Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme des Priesters H. gehabt,
ist falsch», sagte er.