Kämpferischer Johnson wehrt sich gegen «Schweinepasteten-Putsch» Von Benedikt von Imhoff, dpa

Aus der eigenen Partei kommen Rücktrittsforderungen an Boris Johnson,
und ein Abgeordneter der Konservativen läuft zur Opposition über. Für

den britischen Premier wird die Luft immer dünner. Doch in einer
emotionalen Debatte gibt Johnson wieder den Kämpfer. Reicht das?

London (dpa) - Angesichts einer drohenden Revolte in seiner Partei
hat der britische Premierminister Boris Johnson in einer emotionalen
Parlamentsdebatte zum Gegenangriff geblasen. Der Regierungschef gab
sich am Mittwoch demonstrativ unbeeindruckt von neuen Attacken der
Opposition in der «Partygate»-Affäre um Lockdown-Feiern im
Regierungssitz.

Allerdings weht Johnson weiterhin scharfer Wind entgegen. Der
konservative Abgeordnete Christian Wakeford nannte Johnsons Verhalten
in dem Skandal «schändlich» und wechselte zur oppositionellen
Labour-Partei. Zahlreiche weitere Tories fordern Medien zufolge ein
Misstrauensvotum gegen den Premier. Der ehemalige Brexit-Minister
David Davis rief seinen Parteikollegen Johnson in einer
bemerkenswerten Stellungnahme im Parlament offen zum Rücktritt auf.

Kommentatoren schließen nicht mehr aus, dass bald die Schwelle
erreicht wird, die für ein Misstrauensvotum gegen Johnson nötig ist.
Zu einer parteiinternen Abstimmung würde es kommen, falls sich 15
Prozent der nun 359 konservativen Abgeordneten gegen ihn aussprechen.
In geheimer Wahl müsste der Premier dann mindestens 50 Prozent der
Mitglieder auf seine Seite bekommen, um die Abstimmung zu überstehen.
Johnsons Ansehen ist schwer beschädigt.

Hatte sich der Premier zuletzt reumütig gezeigt und sich für den
Eindruck entschuldigt, in der Downing Street seien Corona-Regeln
gebrochen worden, gab sich Johnson nun besonders kämpferisch. Der
57-Jährige kündigte im Unterhaus an, die Corona-Regeln, die kurz vor
Weihnachten wegen der Ausbreitung der Omikron-Variante in England
wieder eingeführt worden waren, am 26. Januar auslaufen zu lassen.
Damit gibt es dann keine staatliche Vorschrift mehr für eine
Maskenpflicht in Geschäften und im öffentlichen Nahverkehr oder für
Impfnachweise für den Besuch von Großveranstaltungen.

Konservative Hardliner hatten diesen Schritt seit Längerem gefordert.
Das Ende der Corona-Maßnahmen gilt daher als zentral für Johnsons
Plan zur Besänftigung seiner Partei, getauft auf den Namen «Operation
Red Meat» - «rohes Fleisch», das den kritischen Abgeordneten
hingeworfen wird. Dazu zählen auch Vorhaben wie ein Ende der
Beitragszahlungen für die BBC und der Einsatz des Militärs gegen
Migranten im Ärmelkanal.

In der turbulenten Unterhaus-Debatte griff Johnson die Opposition
scharf an. Wäre es nach Labour-Chef Keir Starmer gegangen, wäre das
Land noch immer im Corona-Lockdown, behauptete er. Dank seiner
Politik aber sei das Land gut durch die Pandemie gekommen.

Viele Tory-Rebellen scheinen sich jedoch nicht von ihrem Vorhaben
abbringen zu lassen. «Seine Zeit ist abgelaufen», zitierte der
«Telegraph»-Reporter Christopher Hope einen Parlamentarier. «Ich
glaube, wir haben es geschafft», sagte ein anderer aufbegehrender
Tory der gut vernetzten BBC-Reporterin Laura Kuenssberg. Wie viele
Misstrauensschreiben tatsächlich eingegangen sind, ist unklar.

Für Aufsehen sorgt vor allem, dass sich viele Abgeordnete gegen
Johnson aussprechen, die erst aufgrund des fulminanten Tory-Wahlsiegs
2019 ins Parlament gelangten. Sie hatten sich am Dienstag im Büro von
Alicia Kearns getroffen. Weil deren Wahlkreis um den Ort Melton
Mowbray bekannt für Schweinefleisch-Pasteten ist, sprechen Medien von
einem «Pork Pie Putsch». Johnsons Verbündete warfen den jungen
Parlamentariern - die mutmaßlichen Rebellen haben ein
Durchschnittsalter von 34 Jahren - Undankbarkeit vor. «Sie sind nur
wegen ihm gewählt. Die meisten von ihnen sind verdammte Niemande»,
zitierte die «Times» ein Kabinettsmitglied.

Johnson hatte am Dienstag Vorwürfen seines Ex-Beraters Dominic
Cummings widersprochen, er habe in der «Partygate»-Affäre gelogen.
Niemand habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass eine Veranstaltung
im Mai 2020 im Garten seines Amtssitzes gegen die geltenden
Corona-Auflagen verstoßen könnte, beteuerte er. Die Zeitung
«Guardian» nannte das Interview, bei dem Johnson erschöpft wirkte und

wiederholt nach Worten rang, «verheerend».

Auch Regierungsmitglieder stellen sich nicht mehr uneingeschränkt
hinter Johnson. Staatssekretär James Heappey sagte dem Sender Times
Radio zwar, er glaube den Beteuerungen. «Aber ich weiß, dass dies
vielen meiner Wähler nicht reicht», sagte Heappey.

Retten könnte den Premier, dass es keinen klaren Herausforderer gibt.
Als mögliche Nachfolger gelten Außenministerin Liz Truss, die Johnson
öffentlich ihre volle Unterstützung zugesichert hatte, sowie
Finanzminister Rishi Sunak. Der Schatzkanzler saß nun im Parlament
neben Johnson, nachdem er zuletzt abgetaucht war. Derzeit will sich
offensichtlich kein Spitzenpolitiker aus der Deckung wagen.

Johnson lehnte sofortige Konsequenzen aus dem «Partygate»-Skandal
auch am Mittwoch ab, schloss einen Rücktritt aber weiterhin nicht
explizit aus. Er warte den Bericht einer internen Untersuchung ab,
der nächste Woche erscheinen werde. Erneut wich er konkreten Fragen
nach dem Ablauf von Lockdown-Partys im Regierungssitz aus.

Auch am Mittwoch gab es neue Vorwürfe. Die «Times» berichtete,
Johnson habe im März 2020 Warnungen von Mitarbeitern ignoriert und
sich erst nach Tagen mit heftigem Husten selbst isoliert. «Er sagte,
er sei stark wie ein Bulle und schlug sich auf die Brust», zitierte
die Zeitung eine Quelle. Johnson erkrankte damals schwer an Covid-19,
Ärzte kämpften tagelang auf der Intensivstation um sein Leben. Aus
«Number 10» hieß es, Johnson habe alle Vorschriften eingehalten.