Mehr als 70 000 Menschen gegen Corona-Maßnahmen auf der Straße

Wieder gehen am Montagabend Zehntausende auf die Straße. Die meisten
protestieren gegen die Vorgaben zum Schutz gegen das Coronavirus,
andere verteidigen die Maßnahmen. Gefordert ist vor allem die
Polizei.

Berlin (dpa) - Wie in den Wochen zuvor haben am Montagabend in ganz
Deutschland wieder Zehntausende Menschen gegen Corona-Maßnahmen und
eine mögliche Impfpflicht demonstriert. Nach einer Schätzung, die auf
Polizeiangaben beruht, waren es diesmal mehr als 70 000. Die Proteste
waren von einem großem Polizeiaufgebot und mancherorts auch von
Gegendemonstrationen begleitet. Mehrfach wurden Versammlungen
aufgelöst, etwa in Rostock und Cottbus, weil die Polizei keinen
Versammlungsleiter feststellen konnte oder weil kein
Mund-Nasen-Schutz getragen wurde.

Seit Wochen gehen Gegner der Corona-Politik vielerorts auf die
Straße. Nicht immer kündigen oder melden sie die Demonstrationen an.
Zahlreiche Städte haben unangemeldete Proteste, die auch als
sogenannte Spaziergänge bekannt geworden sind, untersagt.

In Berlin zog eine der größeren Demos vom Alexanderplatz Richtung
Brandenburger Tor, dort setzten sich laut der Transparente «Geimpfte
und Ungeimpfte gegen die Impfpflicht» ein. Nur wenige Menschen trugen
Maske. Aus einem Lautsprecher-Wagen tönte: «Merkel, Spahn,
Steinmeier, Drosten in den Knast». Vor dem ZDF-Hauptstadtstudio
stoppte der Zug für eine Zwischenkundgebung. Ein Redner beschimpfte
die «deutschen Medien», die «gleichgeschaltet» seien wie 1933.

In Thüringen demonstrierten 21 000 Personen bei 87 Kundgebungen und
Aufzügen, wie die Polizei mitteilte. Diese seien überwiegend nicht
angemeldet gewesen. In verschiedenen Städten missachtete die
überwiegende Anzahl der Protestierenden laut Polizei dabei die
geltenden Infektionsschutzregeln. Die Beamten sprachen 159
Platzverweise und 39 Strafanzeigen aus. Außerdem erstatteten sie 172
Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten. Die Polizei stellte die
Identität von 217 Teilnehmenden fest.

Hohe Teilnehmerzahlen meldete die Polizei auch aus Baden-Württemberg.
Bei den Protesten nahmen landesweit ungefähr 64 700 Personen an 326
Versammlungen teil, wie das Innenministerium am Dienstag in Stuttgart
mitteilte.

In Sachsen-Anhalt wurden in Halle rund 2400, in Lutherstadt
Wittenberg 1900, in Bitterfeld 1100 und in Halberstadt rund 1000
Menschen bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen gezählt.

Im sächsischen Bautzen liefen laut Polizei zeitweise bis zu 1200
Menschen in einem zweistündigen Aufzug durch die Innenstadt. Die
Beamten seien nicht eingeschritten, weil nach Einschätzung des
Einsatzleiters die Abstände eingehalten wurden. Aus dem Aufzug heraus
sei Pyrotechnik gezündet worden. Derzeit sind laut Sachsens
Corona-Notfallverordnung Versammlungen mit 1000 Leuten erlaubt.

In Mecklenburg-Vorpommern heizte sich in der Rostocker Innenstadt die
Stimmung nach einer Versammlungsauflösung auf, an zwei Kreuzungen
fuhr die Polizei mit Wasserwerfern auf. Die Demonstranten wurden
eingekesselt. Die Polizei nahm schätzungsweise ein Dutzend Störer
vorläufig fest.

Wegen gewalttätiger Angriffe auf Polizeibeamte während der Proteste
in Rostock und Grimmen ermittelt die Polizei gegen eine Reihe von
Tatverdächtigen. Wie Polizeisprecher am Dienstag erklärten, handelt
es sich bei einem Teil der Verdächtigen um je knapp 50 Leute aus der
gewaltbereiten Fußballszene, die sich unter die Protestteilnehmer
gemischt hatten. Es seien Flaschen und Böller auf Einsatzkräfte
geworfen worden, in Grimmen seien Polizisten geschlagen worden.
Mehrere Beamte seien leicht verletzt worden.

In Grimmen hatten sich etwa 80 Menschen zu einer nicht angemeldeten
Veranstaltung versammelt, darunter wohl gewaltbereite Fußballfans.
Als die Polizei die Gruppe lenken wollte, wurden Beamte attackiert.
Danach wurden Platzverweise ausgesprochen und Ermittlungsverfahren
eingeleitet.

Auf dem Greifswalder Markt stellten Bürger mehr als 1500 Kerzen zum
Gedenken an die Corona-Toten im Nordosten auf. «Wir wollen zeigen,
dass Corona Realität ist», hieß es vom Bündnis «Greifswald für
Alle».

Im brandenburgischen Cottbus löste die Polizei eine Demonstration mit
rund 2500 Teilnehmern mangels Versammlungsleiter auf. In einem Fall
habe die Polizei wegen Widerstands Reizgas einsetzen müssen. Ein
Versammlungsteilnehmer habe versucht, eine Polizeikette zu
durchbrechen. Vier Personen seien in Polizeigewahrsam genommen
worden. Es seien Strafanzeigen unter anderem wegen Beleidigung,
Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Verstoßes gegen das
Waffengesetz geschrieben worden. Wegen des Verstoßes gegen das
Versammlungsgesetz wurden bei 175 Personen die Identitäten
festgestellt und ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet.

In der Kölner Innenstadt trafen unterdessen je rund 1000 Gegner der
Corona-Schutzmaßnahmen und Teilnehmer einer Gegendemonstration unter
dem Motto «Köln ist solidarisch» aufeinander. Die unterschiedlichen
Lager hätten am Neumarkt «lautstark ihre Meinungen ausgetauscht»,
sagte ein Polizeisprecher. Alles sei aber ohne nennenswerte
Zwischenfälle verlaufen, die Veranstaltungen seien wie geplant vor 21
Uhr von den jeweiligen Versammlungsleitern beendet worden.

Nach Erkenntnissen des nordrhein-westfälischen Innenministeriums
radikalisieren sich derartige Demonstrationen noch weiter. Der Anteil
von Rechtsextremisten und Reichsbürgern unter den Teilnehmern bewege
sich derzeit «in Teilen bei bis zu zehn Prozent.»

In den einzelnen Bundesländern gelten sehr unterschiedliche Regeln
dazu, unter welchen Pandemie-Bedingungen - etwa mit Blick auf
Teilnehmerzahlen - nicht angemeldete Versammlungen oder sogenannte
«Spaziergänge» geduldet werden.