«Bittere Erkenntnis»: Lucha rechnet mit mehr Corona-Toten in Heimen

Für Bewohner von Pflegeheimen ist das Coronavirus gefährlich bis
tödlich. In manchen Häusern sind nur wenige Menschen geimpft. Das
liege auch an einzelnen Impfskeptikern, sagt Minister Lucha.

Stuttgart (dpa/lsw) - Nach Corona-Ausbrüchen mit mindestens 14 Toten
in zwei badischen Pflegeheimen rechnet Gesundheitsminister Manne
Lucha mit weiteren solchen Fällen im Land. Solange es noch keine
allgemeine Impfpflicht gebe, würden sich einzelne Ausbrüche nicht
komplett verhindern lassen, sagte der Grünen-Politiker am Montag in
einer Sondersitzung des Sozialausschusses des Landtags. Trotz
milderer Verläufe der Omikron-Variante werde es auch zu weiteren
Todesfällen in Heimen kommen - vor allem bei ungeimpften und nicht
geboosterten Bewohnern.

Lucha berichtete von 275 Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen seit
Anfang Oktober 2021 im Land mit 270 Todesfällen. Er rief im Ausschuss
erneut zur Impfung auf, stellte aber auch klar, dass den Behörden die
Hände gebunden seien. «Wenn sich Bewohnerinnen und Bewohner, Betreuer
und Beschäftigte gegen eine Auffrischungsimpfung entscheiden, ist das
Stand heute leider hinzunehmen», sagte der Minister. Das sei eine
bittere Erkenntnis.

Bei einem Corona-Ausbruch in einem Rastatter Pflegeheim waren vor
kurzem 13 Menschen gestorben. Keiner von ihnen hatte eine
Auffrischungsimpfung. Manche seien keinmal, andere ein- oder zweimal
geimpft gewesen. In Gaggenau war ein Bewohner an oder in Verbindung
mit Corona gestorben.

Lucha berichtete von deutlichen Unterschieden bei den Impfquoten in
den Einrichtungen. Beim Ausbruch in Rastatt seien etwa nur 55 Prozent
der Bewohner geboostert gewesen und sogar nur 25 Prozent der
Beschäftigten. In Gaggenau hingegen waren zum Zeitpunkt des Ausbruchs
76 Prozent der Bewohner und 61 Prozent der Beschäftigten geboostert.
Die Zahlen stünden exemplarisch für die Heterogenität der Impfquoten

in den Einrichtungen, sagte Lucha. Diese hingen auch von einer
Binnendynamik in den Einrichtungen ab. «Sind ein paar wenige starke
Impfskeptiker da, können die die Belegschaft aufwiegeln und es werden
Zweifel gestreut.»

Sébastien Oser vom Landratsamt Rastatt berichtete zudem von großen
Unterschieden innerhalb des Rastatter Heims. In drei von fünf
Wohnbereichen lag die Boosterquote ihm zufolge bei 80 Prozent und
mehr, in zwei weiteren Wohnbereichen aber bei deutlich unter 50
Prozent. Oser sprach von einer «Dynamik», von der sich der ein oder
andere habe anstecken lassen.

Man sei mehrfach auf die Träger zugegangen mit Impfangeboten, aber
die Entscheidung liege bei den Betroffenen, so der grüne Minister.
«Wenn trotz mehrfacher Ansprache Einrichtungen sich nicht an die
mobilen Impfteams, an die Heimaufsicht, an die Gesundheitsämter, an
die Kassenärzte, an die betreuenden Ärzte wenden, muss davon
ausgegangen werden, dass offensichtlich kein weiterer
Unterstützungsbedarf besteht.» Die Impfung sei weiterhin freiwillig
und liege damit auch in der stationären Langzeitpflege in der
Eigenverantwortung der Bewohner oder in der gemeinsamen Verantwortung
Angehöriger oder rechtlicher Betreuer. Es mangele nicht am Angebot
oder an aktiv aufsuchender Hilfe.

Die SPD im Landtag sieht das anders. Die Ausbrüche in Pflegeheimen
seien nicht nur ein Thema allein der Impfunwilligen, sagte die
Abgeordnete Dorothea Kliche-Behnke. Es gebe große Unterschiede in der
Boosterquote zwischen Baden-Württemberg und anderen Ländern, weshalb
die Ausbrüche politisch aufgearbeitet werden müssten. «Es darf nicht

bei reinen Appellen bleiben», sagte sie in Richtung Lucha. «Reine
Information ist hier zu wenig.»

Nach einer Auswertung des Landesgesundheitsamtes hatte zum Jahresende
jeder dritte Heimbewohner im Südwesten noch keine sogenannte
Booster-Impfung, wie vor wenigen Tagen bekannt wurde - die Quote der
zum dritten Mal Geimpften lag nur bei 68 Prozent. In Rheinland-Pfalz
lag die Booster-Quote in den Heimen nach Angaben des SWR bei 85
Prozent. Bei den Beschäftigten lag die Quote der Geboosterten laut
LGA noch deutlich unter dem Wert der Bewohner: Nur 37 Prozent der
Mitarbeitenden haben bisher eine Auffrischungsimpfung erhalten.

Kliche-Behnke berichtete von einem Bürger aus ihrem Wahlkreis, der
vier Wochen lang darauf drängen musste, bis sein Vater in einem
Pflegeheim seine Auffrischungsimpfung erhalten habe. «Solche vier
Wochen können wir uns nicht leisten», kritisierte sie. Er bedauere
solche Einzelfälle, aber stellvertretend für die Impfkampagne des
Landes seien sie nicht, entgegnete Lucha. Die AfD sprang dem grünen
Minister bei. «Viel mehr kann man nicht machen», sagte die
Abgeordnete Carola Wolle. Man könne dem Ministerium nicht viel
vorwerfen.