Debatte über Impfpflicht - Ändert Omikron die Spielregeln?

Die Corona-Variante Omikron ist hochansteckend, verursacht aber wohl
mildere Krankheitsverläufe. Was bedeutet das für die Debatte über
eine allgemeine Impfpflicht?

Berlin (dpa) - Die rasante Ausbreitung der zumeist mit eher milden
Krankheitsverläufen verbundenen Omikron-Variante bestärkt Kritiker
einer allgemeinen Corona-Impfpflicht in ihren Bedenken. «Omikron
ändert die Spielregeln», sagte der parlamentarische Geschäftsführer

der FDP-Fraktion im Bundestag, Stephan Thomae, der «Süddeutschen
Zeitung» (Montag). «Es ist jetzt nicht an der Zeit, einfach nur
irgendetwas zu tun und möglichst harte Maßnahmen zu beschließen, nur

um Handlungsbereitschaft zu beweisen. Es geht darum, zum richtigen
Zeitpunkt das Richtige zu tun.»

Vor einigen Tagen hatte bereits die Vorsitzende des Deutschen
Ethikrates, Alena Buyx, deutlich gemacht, dass das Gremium seine
Empfehlung für eine ausgeweitete Impfpflicht unter Umständen
überdenken müsse. Die Haltung richte sich auch danach, welche
Corona-Variante das Infektionsgeschehen dominiere, sagte sie dem
«Spiegel». Als der Ethikrat im Dezember mehrheitlich eine Ausweitung
der Impfpflicht auf wesentliche Teile der Bevölkerung empfohlen habe,
sei dies «im Kern unter den Bedingungen der Delta-Variante»
geschehen.

Die Befürworter halten eine Impfpflicht für nötig, weil die Impfquote

in Deutschland laut vieler Experten bislang zu gering ist, um die
Pandemie nachhaltig einzudämmen. Nachdem die vorherige
Bundesregierung eine solche Pflicht strikt abgelehnt hatte, sprach
sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) im November noch vor seinem
Amtsantritt dafür aus. Zu dem Zeitpunkt bestimmte noch die
Delta-Variante, die in vielen Fällen zu schwereren
Krankheitsverläufen führt, das Pandemiegeschehen in Deutschland.

Inzwischen hat sich die Omikron-Variante durchgesetzt, die zwar als
hochansteckend gilt, aber milder im Verlauf. Für die Befürworter
einer Impfpflicht - inzwischen sind auch alle Ministerpräsidenten
dafür - ändert das wenig bis nichts. Der Ungeimpfte, der jetzt eine
Omikron-Infektion bekomme, werde im Herbst gegen andere Varianten
wenig Schutz haben, schrieb Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
am Sonntag auf Twitter. «Omikron ersetzt Impfung nicht.»

Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte am
Abend in der Bild-Sendung «Die richtigen Fragen»: «Ich glaube, wir
werden aus dieser Pandemie nur rauskommen, wenn wir jetzt diese
Impfpflicht - egal in welcher Variante - einführen.» Er hoffe, dass
die Bundesregierung rasch einen Entwurf vorlege.

Das ist allerdings nicht geplant. Über eine Impfpflicht soll der
Bundestag nach Plänen von SPD, FDP und Grünen in freier Abstimmung
ohne Fraktionsvorgaben entscheiden. Erwartet wird, dass sich
Parlamentarier über Parteigrenzen hinweg zusammentun und sogenannte
Gruppenanträge vorlegen. Hintergrund sind auch offen sichtbare
unterschiedliche Positionen in den Ampel-Reihen - vor allem aus der
FDP sind schon verbreitete Vorbehalte laut geworden.

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel verteidigte die
Haltung seiner Partei. Im Sommer seien noch alle Parteien gegen die
Impfpflicht gewesen, sagte er am Sonntagabend im ZDF. Durch die
ansteckendere Delta-Variante habe sich die Lage verändert, und durch
Omikron verändere sie sich möglicherweise erneut. Er halte es für
angemessen, über eine medizinethische Frage über Fraktionsgrenzen
hinweg zu entscheiden. Deshalb sei es richtig, dass es im Bundestag
Gruppenanträge geben werde statt eines Regierungsantrags.

Die Abgeordnete Dagmar Schmidt, die in der SPD-Fraktion an
entsprechenden Anträgen mitarbeitet, konkretisierte erste
Überlegungen: «Eine Impfpflicht - wenn sie kommt - wird befristet»,
sagte sie der «Süddeutschen Zeitung». «Es geht darum, eine
Grundimmunität in der Bevölkerung zu erreichen. Im Moment gehen wir
davon aus, dass drei Impfungen relativ gut schützen. Dann wäre es das
dann auch.»

Auch Lauterbach hatte am Wochenende erklärt, aus seiner Sicht sollte
eine Impfpflicht drei Impfdosen umfassen. Der CSU-Gesundheitsexperte
Stephan Pilsinger nannte eine solche Festlegung voreilig. Es sei
leider nicht sicher absehbar, ob gefährliche Varianten zusätzliche
Impfungen erforderlich machen könnten, sagte er der «Augsburger
Allgemeinen» (Montag).

Der Virologe Klaus Stöhr erwartet erst eine rasche Durchseuchung,
dann eine natürliche Immunisierung der Bevölkerung - und schließlich

ein Auslaufen der Pandemie. «In den nächsten zwei bis drei Wochen
wird es eine Unsicherheit geben, wie hoch die Inzidenz steigen wird»,
sagte er im TV-Sender Bild. Danach bekämen durch die starke
Durchseuchung sehr viele Menschen eine natürliche Immunität, die
«oben draufgepflanzt» werde auf die Immunisierung durch Impfungen.
Beides zusammen werde zu einem anhaltenden Immunschutz führen, so
dass man auch nicht immer wieder boostern müsse. Im Herbst müsse man
sehen, ob man den über 60-Jährigen noch einmal ein Impfangebot mache.