Omikron-Welle rollt - Sieben-Tage-Inzidenz erreicht Höchstwert

Die Corona-Zahlen steigen rasant. Auf den Intensivstationen schlägt
sich das bisher nicht nieder. Noch nicht? Experten verlangen, die
Lage in den Kliniken insgesamt in den Blick zu nehmen.

Berlin (dpa) - Die Virusvariante Omikron treibt die Corona-Zahlen in
Deutschland weiter steil nach oben. Die Sieben-Tage-Inzidenz hat nach
Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) von Samstagmorgen erneut
einen Höchstwert erreicht, die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner und Woche stieg auf 497,1. Zum Vergleich: Am Vortag lag die
Inzidenz bei 470,6, vor einer Woche bei 335,9. Die Gesundheitsämter
meldeten dem RKI binnen eines Tages 78 022 neue Infektionen. Vor
einer Woche waren es 55 889. Deutschlandweit wurden binnen 24 Stunden
235 Todesfälle verzeichnet.

Omikron ist nach Erkenntnissen des RKI auch hierzulande inzwischen
vorherrschend. Nach Ansicht von RKI-Präsident Lothar Wieler tritt
Deutschland mit der Ausbreitung der hochansteckenden Variante und den
stark steigenden Infektionszahlen in eine «neue Phase der Pandemie»
ein. «Die reinen Fallzahlen werden weniger entscheidend sein.
Wichtiger ist, wie viele Menschen schwer an Covid-19 erkranken und
wie stark das Gesundheitssystem dann belastet sein wird», hatte
Wieler am Freitag gesagt.

Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis dringt auf eine bessere
Erfassung von Corona-Patienten in Krankenhäusern. «Besonders
dramatisch kann in Deutschland die Lage auf den Normalstationen
werden, wenn die Fallzahlen weiterhin so durch die Decke gehen»,
sagte der Wissenschaftliche Leiter des Intensivregisters der
Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und
Notfallmedizin (Divi) der «Rheinischen Post» (Samstag).

«Wir brauchen endlich ein Monitoring, das wie das Intensivregister
zuverlässig die mit Corona infizierten Krankenhauspatienten erfasst.
Bislang ist das ein nicht hinnehmbarer Blindflug, den wir uns nicht
länger leisten können.» Die Bundesregierung müsse schnell Abhilfe
leisten, sagte Karagiannidis.

Die Omikron-Welle hatte sich in Deutschland zuletzt noch nicht auf
den Intensivstationen niedergeschlagen. Die Zahl der dort behandelten
Corona-Infizierten sank nach jüngsten Divi-Daten erstmals seit Mitte
November wieder knapp unter die 3000er-Marke. Die Zahl der insgesamt
in Kliniken aufgenommenen Corona-Patienten je 100 000 Einwohner
innerhalb von sieben Tagen gab das RKI am Freitag allerdings mit 3,23
an (Donnerstag: 3,09, Mittwoch: 3,13). Sie ist damit erstmals seit
einigen Tagen wieder gestiegen. Am Wochenende wird die Kennziffer
nicht veröffentlicht.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mahnte im «Münchner Merkur
»:
«Wir müssen die Lage in den nächsten zwei Wochen sehr genau im Blick

behalten.» Bisher berichteten Experten über eine geringere Anzahl
Patienten in den Krankenhäusern und mildere Verläufe. «Omikron ist
nicht Delta. Das heißt: Wir müssen genau justieren, welche Regeln
zwingend nötig, aber auch verhältnismäßig sind.»

Nötig ist laut Söder ein breiterer Ansatz»: «Es wird nicht mehr
ausreichen, die Lage nur medizinisch und virologisch zu betrachten.
Wir müssen auch auf die gesellschaftliche und soziale Komponente
stärker achten.» Der CSU-Chef hat sich bislang als Verfechter
besonders strenger Corona-Maßnahmen positioniert.

Divi-Präsident Gernot Marx sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland,
derzeit seien vor allem Menschen unter 35 Jahren mit Omikron
infiziert. «Diese bilden deutlich seltener einen schweren Verlauf aus
als ältere Menschen, sind also noch nicht oder nur vereinzelt
Patienten auf unseren Intensivstationen.»

Erwartet wird Marx zufolge, dass gegenüber der Delta-Variante, bei
der etwa 0,8 Prozent aller Infizierten intensivmedizinisch versorgt
werden mussten, deutlich weniger positiv Getestete einen so schweren
Verlauf erleben. «Sollten die Inzidenzen durch die sehr schnelle
Verbreitung stark ansteigen, ist das dann natürlich trotzdem ein
Problem», warnte er. «Wir hoffen also, dass die Zahl der
Covid-19-Patienten noch deutlich sinken kann, bevor die nächste Welle
kommt.»

Der Münchner Experte Clemens Wendtner mahnte zur zügigen Vorbereitung
einer vierten Corona-Impfung - mit den verfügbaren Impfstoffen. «Für

mich wäre eine Viertimpfung vier bis sechs Monate nach der dritten
Impfung eine adäquate Maßnahme», sagte der Chefarzt der Infektiologie

an der München Klinik Schwabing der Deutschen Presse-Agentur.

Er verwies zugleich jedoch darauf, dass es aufgrund mangelnder Daten
noch keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) zur
Viertimpfung gibt. Oft heiße es, man wolle auf den angepassten
Omikron-Impfstoff warten. «Ich fürchte aber, das wird zu lange
dauern», sagte Wendtner. Vor April sei nicht mit neuen Impfstoffen zu
rechnen - die Omikron-Welle rolle aber jetzt heran.