Mediziner dringt auf umfassendes Corona-Monitoring in Kliniken

Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis will einen Blindflug in
Krankenhäusern abstellen. Er verlangt eine bessere Datenbasis und
nimmt dabei die Bundesregierung in die Pflicht. Markus Söder will
«Team Vorsicht» und «Team Augenmaß» zusammenbringen.

Düsseldorf (dpa) - Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis
dringt auf eine bessere Erfassung von Corona-Patienten in
Krankenhäusern. «Besonders dramatisch kann in Deutschland die Lage
auf den Normalstationen werden, wenn die Fallzahlen weiterhin so
durch die Decke gehen», sagte der Wissenschaftliche Leiter des
Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für
Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) der «Rheinischen Post» (Samstag).

«Wir brauchen endlich ein Monitoring, das wie das Intensivregister
zuverlässig die mit Corona infizierten Krankenhauspatienten erfasst.
Bislang ist das ein nicht hinnehmbarer Blindflug, den wir uns nicht
länger leisten können.» Die Bundesregierung müsse schnell Abhilfe
leisten, sagte Karagiannidis.

Die Omikron-Welle schlug sich in Deutschland bisher noch nicht auf
den Intensivstationen nieder. Die Zahl der dort behandelten
Corona-Infizierten sank nach jüngsten Divi-Daten erstmals seit Mitte
November wieder knapp unter die 3000er-Marke. Auch bei den gemeldeten
Erstaufnahmen ist der Trend rückläufig. Experten sehen aber noch
keinen Grund zur Entwarnung, unter anderem wegen offener Fragen zu
Omikron und einer erwarteten weiteren Zunahme der Ansteckungen.

Die Zahl der an einem Tag erfassten Neuinfektionen hatte zuletzt nach
offiziellen Angaben erstmals die Schwelle von 90 000 überschritten.
Auch die Sieben-Tage-Inzidenz erreichte einen Höchststand.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder mahnte im «Münchner Merkur
»
(Samstag): «Wir müssen die Lage in den nächsten zwei Wochen sehr
genau im Blick behalten.» Bisher berichteten Experten über eine
geringere Anzahl Patienten in den Krankenhäusern und mildere
Verläufe. «Omikron ist nicht Delta. Das heißt: Wir müssen genau
justieren, welche Regeln zwingend nötig, aber auch verhältnismäßig

sind. Wir wollen «Team Vorsicht» und «Team Augenmaß»
zusammenbringen.»

Es braucht nach Söders Ansicht einen «breiteren Ansatz»: «Es wird
nicht mehr ausreichen, die Lage nur medizinisch und virologisch zu
betrachten. Wir müssen auch auf die gesellschaftliche und soziale
Komponente stärker achten.» Der CSU-Chef hat sich bislang als
Verfechter besonders strenger Corona-Maßnahmen positioniert.

Der Divi-Präsident Gernot Marx sagte dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland (Samstag), derzeit seien vor allem Menschen unter 35
Jahren mit Omikron infiziert. «Diese bilden deutlich seltener einen
schweren Verlauf aus als ältere Menschen, sind also noch nicht oder
nur vereinzelt Patienten auf unseren Intensivstationen.»

Erwartet wird Marx zufolge, dass gegenüber der Delta-Variante, bei
der etwa 0,8 Prozent aller Infizierten intensivmedizinisch versorgt
werden mussten, deutlich weniger positiv Getestete einen so schweren
Verlauf nehmen. «Sollten die Inzidenzen durch die sehr schnelle
Verbreitung stark ansteigen, ist das dann natürlich trotzdem ein
Problem», warnte er. «Wir hoffen also, dass die Zahl der
Covid-19-Patienten noch deutlich sinken kann, bevor die nächste Welle
kommt.»

Der Münchner Experte Clemens Wendtner mahnte zur zügigen Vorbereitung
einer vierten Corona-Impfung - mit den verfügbaren Impfstoffen. «Für

mich wäre eine Viertimpfung vier bis sechs Monate nach der dritten
Impfung eine adäquate Maßnahme», sagte der Chefarzt der Infektiologie

an der München Klinik Schwabing der Deutschen Presse-Agentur. Er
verwies zugleich jedoch darauf, dass es aufgrund mangelnder Daten
noch keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) zur
Viertimpfung gibt. Oft heiße es, man wolle auf den angepassten
Omikron-Impfstoff warten. «Ich fürchte aber, das wird zu lange
dauern», sagte Wendtner. Vor April sei nicht mit neuen Impfstoffen zu
rechnen - die Omikron-Welle rolle aber jetzt heran.