Landtag lehnt Aufhebung aller Beschränkungen für Versammlungen ab

Die Zahl der Corona-Proteste wächst auch in Sachsen. Da sie bis auf
Einzelfälle nicht angemeldet werden und mehr Leute teilnehmen als
erlaubt, muss die Polizei verhältnismäßig eingreifen. Konflikte sind

vorprogrammiert.

Dresden (dpa/sn) - Der Sächsische Landtag hat die Aufhebung aller
Beschränkungen für Versammlungen in der Corona-Pandemie abgelehnt.
Die AfD blieb am Mittwoch mit einem entsprechenden Antrag isoliert.
Fraktionschef Jörg Urban warf der Regierung vor, durch die derzeit
geltende Begrenzung der Teilnehmerzahl den öffentlichen Protest zu
kriminalisieren. Nach der aktuellen Notfallverordnung sind bei
Versammlungen maximal zehn Teilnehmer erlaubt. Zudem dürfen sie nicht
als Demonstrationszug durch die Straßen ziehen. Im Einzelfall können
Ausnahmen bewilligt werden.

Innenminister Roland Wöller (CDU) zeigte sich über die Anti-Corona-
Demonstrationen besorgt. «An ihnen nehmen teil: Rentner, Eltern,
Kinder, Impfskeptiker, Corona-Leugner, Reichsbürger, Rechte und
Rechtsradikale. Gerade die sozialen Medien und insbesondere
Messengerdienste wie Telegram wirken wie Treiber des
Protestgeschehens.» Gegen Corona-Maßnahmen zu protestieren sei nur
die eine Sache, aber die Corona-Proteste auszunutzen, um den Staat
und die Demokratie zu zersetzen, eine andere.

Wöller griff die AfD an. Sie spiele derzeit eine «erbärmliche Rolle
».
Statt an das Gemeinwohl zu denken, denke sie an das Eigenwohl.
Anfangs habe die AfD das Coronavirus als Grippe abgetan und der
Bundesregierung eine Verharmlosung der Corona-Gefahr vorgeworfen: nun
sei sie gegen die Maßnahmen. Diese 180-Grad-Wendung sei
opportunistisch: «Wie arm muss eine Partei an Themen oder
programmatischer Kraft sein, um auf dieser Welle dieser Pandemie zu
irrlichtern und daraus Nutzen für sich zu ziehen.»

AfD-Fraktionschef Jörg Urban hatte die emotional geführte Debatte
eingeleitet. «Der Versuch, Sachsen in einen Winterschlaf zu
versetzen, um kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen, ist auf
ganzer Linie gescheitert.» Viele tausend Menschen würden Woche für
Woche «gegen die Spaltung der Gesellschaft» protestieren. Die
Begrenzung auf zehn Personen gefährde jedoch den inneren Frieden und
heize die Konfrontation zwischen kritischen Bürgern und der Polizei
immer weiter an. Deshalb müsse die Begrenzung aufgehoben werden.

Vertreter von CDU und SPD verteidigten die Beschränkung mit Verweis
auf die Infektionszahlen. «Das Grundrecht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit hat an dieser Stelle Vorrang. Das bedeutet, dass das
Versammlungsrecht weiterhin eingeschränkt werden muss», sagte SPD-
Innenpolitiker Albrecht Pallas. Man müsse aber über die Ausgestaltung
diskutieren. Misstrauen gegenüber der Politik sei nicht erst durch
Corona entstanden, sondern auch durch Verwerfungen der Nachwendezeit
und das Kaputtsparen von gesellschaftlichen Strukturen gewachsen.

CDU-Rechtsexperte Martin Modschiedler stellte klar, dass die
Regierung Entscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse
und eines Expertenrats treffe. Die Begrenzung der Teilnehmerzahl sei
dem Umstand geschuldet, dass die Sieben-Tage-Inzidenz damals bei mehr
als 1000 gelegen habe. Auch das Versammlungsrecht habe man deshalb
für einen begrenzten Zeitraum einschränken müssen. Mit den Maßnahme
n
der Kontaktbeschränkung seien nach jetzigen Erkenntnissen aber bis zu
2000 Menschenleben gerettet worden. Modschiedler deutete an, dass bei
der neuen Schutzverordnung nun neu zu entscheiden sei.

Abgeordnete von Linken und Grünen sprachen sich dafür aus, die Zahl
der Teilnehmer an Demonstrationen zu erhöhen. «Das Versammlungsrecht
darf nicht in einem Dauerzustand derart massiv leiden (...). Deshalb
halten wir es für zwingend notwendig, zunächst über eine moderate
Erhöhung der Teilnehmendenzahl zu diskutieren - unter strengen und
vor allem auch durchzusetzenden Hygieneauflagen und Einhaltung des
Versammlungsrechtes», sagte Valentin Lippmann (Grüne).

«Ich sehe keinen zwingenden Grund, warum es nicht auch 15 oder 50
oder 150 sein könnten - immer vorausgesetzt, dass Hygienemaßnahmen
eingehalten werden», erklärte Linke-Innenpolitikerin Kerstin Köditz.

Die Begrenzung treffe vor allem jene, die sich an Regeln halten.

Bei nicht angemeldeten Protesten gegen Corona-Maßnahmen kam es in
Sachsen in den vergangenen Wochen mehrfach zu Gewalt. In Bautzen und
Lichtenstein wurden zuletzt mehr als ein Dutzend Polizisten verletzt.