Schleswig-Holstein erwartet weiteren Anstieg von Corona-Fällen Von Wolfgang Schmidt und André Klohn, dpa

Zufall? Unzureichende Rechtsgrundlagen? Inkonsequenz? Bei den
aktuellen Corona-Zahlen ist der einstige Primus Schleswig-Holstein in
den Keller gerutscht. Die CDU sieht eine wesentliche Ursache bei der
Ampel in Berlin.

Kiel (dpa/lno) - Im früheren Corona-Musterland Schleswig-Holstein
spitzt sich die Lage mit neuen Rekordzahlen weiter zu. Die Inzidenz
von zuletzt 295,9 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben
Tagen übertrafen nur noch vier andere Bundesländer - besser lagen
etwa Bayern, Sachsen oder Berlin. Nach Inkrafttreten einiger
verschärfter Regeln am Dienstag bahnen sich weitere Schritte an. Die
Landesregierung rechnet trotzdem vorerst nicht mit Entspannung.

«Wir gehen aktuell davon aus, dass sich in den nächsten Tagen ein
weiter erheblicher Anstieg des Infektionsgeschehens vollziehen wird -
so wie dies in anderen Ländern, bei denen die Omikron-Variante
dominiert, bereits der Fall gewesen ist», sagte ein Sprecher des
Gesundheitsministeriums der Deutschen Presse-Agentur.

Bund und Länder hatten vereinbart, dass Länder, die nach dem
Auslaufen der epidemischen Lage nationaler Tragweite eine
Öffnungsklausel gezogen hatten, Clubs und Diskotheken schließen und
Tanzveranstaltungen verbieten. «Schleswig-Holstein gehörte mit den
seinerzeit bundesweit geringsten Infektionszahlen nicht dazu», sagte
der Sprecher.

Unterdessen brachten CDU, Grüne und FDP einen Antrag ein, mit dem der
Landtag am Montag in einer Sondersitzung die epidemische Lage für das
Land feststellen soll. Dies würde auch die Schließung von Clubs und
Diskotheken ermöglichen, von denen zum Jahresende viele Infektionen
ausgegangen waren. Die Isolation von Infizierten und Quarantäne von
Kontaktpersonen trifft auch die sogenannte kritische Infrastruktur
vom Gesundheitswesen über Schule, Kitas, Polizei, Rettungswesen und
Verkehr bis hin zu Energie, Wasser, Müllabfuhr, Verkehr, Medien und
Ernährungswirtschaft. «Es müssen jetzt auch zügig die
Quarantäne-Regelungen vor allem mit Blick auf die kritische
Infrastruktur bundesweit angemessen verkürzt werden», forderte
FDP-Fraktionschef Christopher Vogt.

CDU-Fraktionschef Tobias Koch betonte, wegen des Auslaufens der
epidemischen Notlage von nationaler Tragweite im November - aus
seiner Sicht ein schwerer Fehler der Berliner Ampel-Koalition -
bestehe im Norden bisher keine Möglichkeit zur Schließung von
Diskotheken und Bars. «Angesichts der vergleichsweise niedrigen
Inzidenz von 150 zu Weihnachten wäre das Ausrufen einer landesweiten
Notlage zu diesem Zeitpunkt zudem unverhältnismäßig gewesen.»

FDP-Fraktionschef Vogt räumte ein, die De-Facto-Schließung der
Diskotheken hätte die Koalition aus heutiger Sicht einige Tage
vorziehen sollen. «Hinterher sind natürlich immer alle schlauer - da
geht es der Koalition wie der Opposition und auch den Experten des
Landes, die vor Weihnachten ja keine schärferen Maßnahmen empfohlen
hatten.» Auch aus heutiger Sicht der Grünen wäre eine Schließung de
r
Diskotheken schon vor Weihnachten richtig gewesen. «Die Feiertage
haben gezeigt, wie hoch das Risiko von großen Tanzveranstaltungen
ist», sagte Fraktionschefin Eka von Kalben.

Auch die oppositionelle SPD ist dafür, die epidemische Lage für das
Land festzustellen. Die Corona-Höchststände seien Folge einer
nachlässigen Politik der Landesregierung von Ministerpräsident Daniel
Günther (CDU), sagte SPD-Landeschefin Serpil Midyatli. «Als andere

Länder Clubs und Diskotheken geschlossen haben, zog Daniel Günther
noch über die Weihnachtsmärkte und warb für Normalität im Land.»
Die
Regierung habe Omikron verschlafen. «Die Selbstwahrnehmung der
Regierung steht im krassen Kontrast zu dem, was die Menschen aktuell
tagtäglich im Land erleben.»

Unterdessen merkte Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) an, dass
Betreiber von Diskotheken auch dann Überbrückungshilfen erhalten,
wenn ein Weiterbetrieb aufgrund der Corona-Beschränkungen nicht
wirtschaftlich ist und sie deshalb freiwillig schließen. Es sei keine
Schließungsanordnung nötig. Diese Sonderregelung greift für die Zeit

von November bis Dezember und laut Ankündigung des Bundes mindestens
auch im Januar. «Der Diskothekenverband selbst hat in einer Umfrage
unter den Disco-Betreibern festgestellt, dass keiner plant, seine
Disco zu öffnen», sagte Buchholz.

Der Virologe Helmut Fickenscher hob hervor, aktuell seien
Tanzveranstaltungen ein wesentlicher Weg der Virus-Verbreitung
gewesen. Für ihn ist es vordringlich, den Schutz der Bewohner in
Alters- und Pflegeheimen sowie der Patienten in Krankenhäusern
sicherzustellen. Die Zahl der gemeldeten Covid-19-Kranken in Kliniken
stieg zuletzt binnen eines Tages um 30 auf 193 und die der
Intensivpatienten um 3 auf 49. Die Hospitalisierungsinzidenz, die
angibt, wie viele Corona-Kranke innerhalb einer Woche pro 100 000
Einwohner in Kliniken kamen, sank hingegen - von 2,4 auf 2,27. Bei
Überschreitung der Schwellenwerte 3, 6 und 9 können die Länder
jeweils schärfere Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie verhängen.