Wiener Neujahrskonzert trotzt Omikron und Störversuch Von Albert Otti, dpa

Das Orchester war froh, trotz Omikron-Sorgen vor Publikum zu spielen.
Der Dirigent beschwor den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Vor dem
Konzertsaal musste die Polizei für Sicherheit sorgen.

Wien (dpa) - Mit strengen Corona-Maßnahmen, Polizeischutz und einer
großen Portion an musikalischer Zuversicht haben die Wiener
Philharmoniker das dritte Pandemie-Jahr eingeläutet. Unter der
zurückhaltenden Leitung von Daniel Barenboim ließ das Orchester
Korken knallen, sang von nächtlichen Vergnügungen und beschwor in
zwei Stücken den mythologischen Vogel Phönix als Symbol des
Neubeginns.

In dieser schweren Zeit sei das Konzert und das Zusammenspiel des
Orchesters ein Symbol für den Zusammenhalt, den die Welt jetzt
brauche, sagte Barenboim dem Publikum. Covid-19 sei nicht nur eine
medizinische, sondern auch eine menschliche Katastrophe. «Es ist eine
Katastrophe, die uns auseinanderdividieren will.»

In den Tagen vor dem Konzert hatten Gegner der Corona-Maßnahmen laut
Wiener Polizei zu einer Störaktion aufgerufen. Auf dem Vorplatz des
Musikvereins fanden sich am Samstag einige Dutzend Menschen mit
Trommeln und Lautsprechern ein. Die Polizei verhinderte jedoch die
Demonstration mit Absperrungen und anderen Sicherungsmaßnahmen.

Die Musikerinnen und Musiker hatten dem Auftritt vor Publikum
entgegengefiebert, denn im Vorjahr musste der Walzer- und Polkareigen
wegen der Corona-Pandemie vor leeren Rängen stattfinden. Aus Sorge
vor der Omikron-Variante wurde die Zahl der Zuschauer allerdings
dieses Mal kurzfristig von 1700 auf 1000 reduziert. Die Gäste mussten
eine vollständige Grundimmunisierung und einen negativen PCR-Test
vorweisen sowie FFP2-Masken tragen. Den vielen Kartenbesitzern, die
deshalb zu Hause bleiben mussten, wurden Plätze für den 1. Januar
2023 reserviert.

Die Regierung hatte kurz vor Weihnachten neue Corona-Regeln für
Veranstaltungen angekündigt. Große Theater und Opern mussten
kurzfristig entscheiden, ob sie mehr als 1000 Besucher nur mit
Auffrischungsimpfungen einlassen - oder ob sie die Publikumsgröße
verringern und so wie beim Neujahrskonzert 2G plus anwenden. Der
Wiener Staatsoper machte das Virus trotz strengster
Vorsichtsmaßnahmen zu Jahresbeginn einen Strich durch die Rechnung.
Das Haus gab am Samstag bekannt, dass wegen einiger Omikron-Fälle im
Ensemble alle Vorstellungen bis inklusive Donnerstag ausfallen.

Österreichs Kanzler Karl Nehammer blieb dem Neujahrskonzert
freiwillig fern. Angesichts der bevorstehenden Omikron-Welle wäre ein
Besuch das «falsche Signal», schrieb er auf Facebook. Die
Staatsspitze war durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen
vertreten. Auch der Wiener Society-Löwe und Unternehmer Richard
Lugner ließ sich die Veranstaltung nicht entgehen.

Die Philharmoniker bewahren bei ihren Auftritten oft einen stoischen
Ausdruck selbst bei Neujahrskonzerten. Am Samstag spielten viele der
Musiker jedoch mit einem Lächeln im Gesicht. Die jahrzehntelange
Verbundenheit des Orchesters mit dem Pianisten und Dirigenten
Barenboim war spürbar. Der 79-jährige Maestro achtete auf einen
klaren, leichten Klang und legte den volksmusikalischen Hintergrund
der Walzer und Polkas frei. Dabei arbeitete der Generalmusikdirektor
der Staatsoper Unter den Linden mit minimalen Gesten und sorgte
dafür, dass nie zu viel Überschwang aufkam.

Besonders viel Jubel brandete nach dem spätromantisch-symphonischen
Walzer «Sphärenklänge» von Josef Strauß (1827-70) auf - eines von

Barenboims Lieblingsstücken. Das Publikum war auch von den
mehrstimmigen Sing- und Pfeifkünsten begeistert, die das Orchester in
Carl Michael Ziehrers (1843-1922) Walzer «Nachtschwärmer» zur Schau
stellte. Die Textzeilen «Woll'n wir nach Hause geh'n, oder wir
bleib'n noch hier, bist du dafür?» wiesen angesichts der derzeitigen
frühen Corona-Sperrstunde in Österreich hoffnungsvoll in
post-pandemische Zeiten.

Einen Schritt in die Gegenwart machte die Tanzeinlage des Konzerts,
das für ein Millionenpublikum in 92 Länder übertragen wurde. Der
Ballettchef der Wiener Staatsoper, Martin Schläpfer, schuf eine
erfrischend moderne Choreographie mit kraftvollen Frauen-Solos zum
Walzer «Tausend und eine Nacht» von Johann Strauß (1828-99). Zur
Komposition «Nymphen» von Johanns Bruder Josef tänzelten danach die
Lipizzanerhengste der Spanischen Hofreitschule in Wien. Diese zarte
Polka sei den Tieren viel besser gelegen als der kämpferische
«Persische Marsch», den man auch in Erwägung gezogen habe, erzählte

Philharmoniker-Vorstand Daniel Froschauer vor dem Konzert.

Nach Barenboim, der das Neujahrskonzert insgesamt schon drei Mal
dirigiert hat, wird am 1. Januar 2023 Franz Welser-Möst die
traditionelle Veranstaltung leiten.