Hoffen nach Bartgeier-Auswilderung - Nische schon wieder parat Von Elke Richter, dpa

Die ausgewilderten Bartgeier aus dem oberbayerischen Berchtesgaden
haben Fans in aller Welt. Per Livecam verfolgten sie die ersten
Flügelschläge, später per GPS-Tracking die Entdeckungstouren. Nun
jedoch heißt es warten: auf Sonne - und ein Lebenszeichen.

Ramsau bei Berchtesgaden (dpa) - Am Anfang waren sie ihren
Schützlingen so nah, dass sie alles registrieren und notieren
konnten, die Schlaf- und Fresszeiten, die Anzahl der Flügelschläge,
selbst die Kotspritzer. Doch nun heißt es für das Team, das 2021
erstmals seit der Ausrottung vor mehr als 140 Jahren Bartgeier in
Deutschland ausgewildert hat: warten und hoffen. Hoffen darauf, dass
die mit enormen finanziellem und personellem Einsatz ausgewilderten
Tiere noch leben. Und warten darauf, dass irgendjemand sie sieht und
dies - am besten noch belegt durch ein Foto - auch meldet.

Zu «Bavaria», der abenteuerlustigeren der beiden aus einer spanischen
Zuchtstation stammenden Geierweibchen, ist der Kontakt schon Ende
November abgebrochen. Bei «Wally», die sich noch lange in der Region
aufhielt, wird er auch immer sporadischer: Der Akku des mit einem
Solarmodul bestückten GPS-Senders erhält bei dem trüben Wetter
offenbar nicht genug Power.

Dennoch ist Toni Wegscheider, der das Projekt für den Landesbund für
Vogelschutz in Bayern federführend betreut, zuversichtlich. «Die
haben sich optimal entwickelt, was die Spannbreite betrifft, was das
Gewicht betrifft, die sind voll leistungsfähig, und was ein Bartgeier
zum Überleben können muss, können die beiden - außer brüten.» D
ennoch
gibt es natürlich selbst für den größten Vogel der Alpen, der eine

Spannbreite von knapp drei Metern erreicht, viele Gefahren.

Neben Blitzschlag oder Angriffen eines Steinadlers gehören dazu
Lawinen - die aber zugleich für die Tiere auch elementar sind.
«Lawinenzeit ist Geierzeit, denn jede Lawine ist potenziell ein
Nahrungslieferant, wenn eine Gams oder ein Steinbock mitgerissen
wird», erklärt Wegscheider. Deshalb sei auch der November die
härteste Zeit des Jahres für die Tiere: Die Schneedecke ist noch so
dünn, dass sie alle herumliegenden Kadaver bedeckt und damit vor den
scharfsichtigen Geiern versteckt, aber noch nicht so dick, dass sie
durch Lawinenabgänge neue hervorbringt.

Eine weitere, große Gefahr geht von Bleivergiftungen aus - die
Aasfresser nehmen das Nervengift auf, wenn sie die Knochen von mit
Bleimunition geschossenen Tieren fressen. «Wir wissen, dass im
Alpenraum 30 bis 50 Prozent aller Bartgeier - völlig unnötig - an
Bleivergiftung verrecken», schildert Wegscheider.

Deshalb warten die Tierschützer auch so sehnsüchtig auf Sichtungen
der beiden durch gebleichte Flügelfedern identifizierbaren Tiere.
Wenn jemand einen lethargisch wirkenden, taumelnden oder nicht mehr
flugfähigen Bartgeier melden würde, so würden die Experten selbst in

die entferntesten Winkel der Alpen fahren, das Tier mithilfe seines
vhs-Senders im Gelände suchen und das Gift noch mit
Medikamentenspritzen auszuschleichen versuchen, so wertvoll ist jedes
einzelne Exemplar für den Erhalt der Art.

Im Rahmen eines alpenweiten Wiederansiedelungsprojektes wurden
zwischen 1986 und 2020 knapp 230 Bartgeier ausgewildert, 2021 zum
ersten Mal auch in Deutschland. Der Nationalpark Berchtesgaden, wo
«Wally» und «Bavaria» ihre Kinderstube eingerichtet bekamen, zieht

eine durchweg positive Bilanz.

Nicht nur, weil sich die beiden Tiere wie erhofft entwickelt haben
und nun ihre Kreise auch außerhalb des Nationalparks ziehen. «Wir
haben in der Halsgrube - also in Sichtweite zur Auswilderungsnische -
einen Infostand eingerichtet, der von Tausenden aufgesucht wurde»,
berichtet der Projektverantwortliche des Nationalparks, Ulrich
Brendel. Befürchtungen, das große Interesse könnte zu wilden
Trampelpfaden und anderen Schäden in der sensiblen Kernzone führen,
bewahrheiteten sich nicht.

Jetzt sei man bereits dabei, alles für die Ankunft der nächsten
beiden Zuchttiere vorzubereiten und kleinere Stellschrauben
nachzujustieren - etwa eine noch bessere Abdeckung der Nische mit
Web-Cams. Denn das eine dreiviertel Million Euro teure Projekt ist
auf zehn Jahre angelegt, jährlich sollen zwei bis drei weitere
Jungtiere in unmittelbarer Nähe zum Königssee ausgewildert werden.

«Letztendlich ist alles so vorbereitet, dass wir im Mai - solange
liegt der Schnee manchmal in den Höhen - sofort wieder starten
können», berichtet Brendel. Auch in der Felsnische, in der «Wally»

und «Bavaria» in den ersten Wochen lebten, wurde alles winterfest
gemacht. «Putzen im eigentlichen Sinne müssen wir da oben nicht»,
schildert Brendel - zumal Geier ihre Nester reinlich halten. «Aber
wenn ein Geier da empfindlich wäre, hätte er auch den Job verfehlt.»