Arzt: Vierte Corona-Welle noch nicht ausgestanden

Kliniken stocken wegen Covid-Fällen Personal auf, Ärzte befürchten
steigende Patientenzahlen. Der Lungenexperte Çelik ist überzeugt: Es

müssen sich mehr Menschen impfen lassen. Manche lehnten dies selbst
noch ab, wenn sie mit Covid-19 im Krankenhaus liegen.

Wiesbaden (dpa/lhe) - Die vierte Corona-Welle ist nach den Worten des
Darmstädter Lungenexperten Cihan Çelik noch nicht ausgestanden. Aus
medizinischen Gründen und epidemiologischen Überlegungen habe es
keinen Sinn, davon auszugehen, «dass das jetzt schon alles war»,
sagte der Oberarzt am Klinikum Darmstadt am Freitag in Wiesbaden. An
seinem Krankenhaus sei der Personalplan bereits wieder aufgestockt
worden. Er gehe davon aus, dass es im Oktober und vielleicht auch im
November wieder steigende Patientenzahlen geben werde.

«Die aktuelle Lage in den Krankenhäusern dürfte nur ein Vorgeschmack

auf den Herbst sein», mahnte Çelik. Er betonte: «Die Impfung hat
einen sehr großen Nutzen für die Patienten.» Auch wenn derzeit
weniger Covid-Patienten als in den vorherigen Wellen im Krankenhaus
lägen, sei die Lage im Klinikum Darmstadt und vielen anderen
hessischen Häusern «schon jetzt angespannt».

Da der restliche Krankenhausbetrieb im Normalbetrieb laufe, stehe
auch weniger Personal für deren Versorgung zur Verfügung. Um die
Versorgung der Nicht-Covid-Fälle zu gewährleisten und Beschäftigte zu

schonen, «müssen wir verhindern, dass die Zahl der Patienten im
Herbst stark ansteigt», warnte Çelik. Von schweren
Krankheitsverläufen seien überwiegend Ungeimpfte betroffen.

Nach seiner Erfahrung zeigten die Menschen im Krankenbett sehr oft
Reue, dass sie sich nicht impfen ließen. Es gebe auch eine
Minderheit, die nach wie vor gegen eine Impfung seien. Meistens seien
aber «Unorganisiertheit», Unwissen oder mangelnder Kontakt zu Ärzten

der Grund für den fehlenden Impfschutz.

Sozialminister Kai Klose (Grüne) kündigte an, dass es weiter
niedrigschwellige Impfangebote im Land geben werde. Er sei überrascht
gewesen, wie viele Menschen sich etwa bei einer Aktion in der
Frankfurter Innenstadt spontan impfen ließen. Es gebe offensichtlich
Bedarf an solchen Angeboten.

Nach Kloses Worten werden aktuell 147 Covid-Patienten in Hessen
intensivmedizinisch behandelt (darunter 16 Verdachtsfälle). Davon
seien 80 Prozent ungeimpft. Der überwiegende Teil der vollständig
Geimpften mit einem schweren Verlauf gehöre einer Risiko-Gruppe an.

Seit Mitte September wird die pandemische Lage in Hessen nicht mehr
nur nach der Sieben-Tage-Inzidenz bewertet, also der Zahl der
Neuinfektionen binnen einer Woche unter 100 000 Einwohnern. Mit den
zwei neuen Leitindikatoren, der Hospitalisierungsinzidenz und der
Intensivbettenbelegung, stehe die Situation in den Krankenhäusern
vornehmlich im Mittelpunkt, erläuterte Klose. Dennoch werde weiter
die Infektionsinzidenz als Frühwarnsystem zurategezogen.

Oberarzt Çelik betonte, es müssten mehr Indikatoren in die Bewertung
einfließen. Dazu zählte er auch die Auslastung der Intensivbetten
sowie die Belastung von Ärzten und Pflegepersonal. All dies müsse zu
einem «Warnindex» zusammengefasst werden. «Natürlich ist das nicht
so
griffig wie eine einzige Zahl, aber es würde die ganze Situation
besser beschreiben», sagte der Mediziner.

Die Aussagekraft der Hospitalisierungsinzidenz berge einige Probleme,
so Çelik. Beispielsweise zeige sie das Geschehen zeitlich verzögert.
Die Sieben-Tage-Hospitalisierungsinzidenz beschreibt, wie viele
Personen je 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen wegen
einer Covid-19-Erkrankung im Krankenhaus landesweit neu aufgenommen
wurden.