Spahn zufrieden mit Impfaktionswoche - Diskussion über «Freiheitstag»

Jens Spahn zeigt sich zufrieden mit der Impfaktionswoche, ruft aber
Menschen über 60 Jahren erneut zum Impfen auf. Kassenärztechef
Andreas Gassen fordert für Ende Oktober einen «Freiheitstag» -
darüber entbrennt eine Diskussion.

Berlin (dpa) - Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat eine positive
Bilanz der Aktionswoche zum Impfen gegen das Coronavirus gezogen.
«Wir haben in der Aktionswoche insgesamt rund 500 000 der wichtigen
Erstimpfungen geschafft, etwa die Hälfte dürfte auf Aktionen
zurückgehen», sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke
Mediengruppe (Sonntag). Vereine, Organisationen, Privat-Initiativen
und Freiwillige hätten bundesweit rund 1500 Impfaktionen auf die
Beine gestellt. Möglicherweise habe es noch deutlich mehr gegeben.
Mit kreativen Aktionen vor Ort sollten Ungeimpfte von einer
Corona-Impfung überzeugt werden.

Dennoch zeigte sich Spahn besorgt über die große Gruppe Ungeimpfter
in der älteren Bevölkerung: «Von den 24 Millionen Menschen im Alter
über 60 Jahren sind knapp vier Millionen noch ungeimpft, das ist fast
jeder sechste in dieser Risikogruppe», sagte der Minister. «Würde
sich mit der sehr ansteckenden Delta-Variante ein Großteil dieser
Gruppe innerhalb weniger Wochen infizieren, dann würden unsere
Intensivstationen sehr unter Stress kommen», warnte Spahn.

Die Zahl der Neu-Ansteckungen in Deutschland geht indes weiter
zurück. So sank die Sieben-Tage-Inzidenz am sechsten Tag in Folge auf
70,5 am Sonntagmorgen (Vortag: 72,0; Vorwoche 80,2; Vormonat: 44,2),
wie aus Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) hervorgeht. Damit
scheint die rasante Verschärfung der Infektionslage seit Mitte Juli
erstmal gestoppt. Warum das so ist, darüber können Fachleute nur
spekulieren.

«Das ist die Gretchenfrage», sagte Dirk Brockmann, der am RKI
Epidemiologische Modelle macht, dem «Spiegel» (Samstag). Es könne
unter anderem sein, «dass die Tests an den Schulen, die ja
durchgeführt werden, jetzt Wirkung zeigen - dass die Kinder also in
Quarantäne geschickt und Infektionsketten durchbrochen werden. Eine
andere Möglichkeit ist, dass doch mehr Menschen immun sind, also eine
Dunkelziffer eine Rolle spielt.» Zudem sei das Impfen wichtig und
auch das gute Wetter der letzten Wochen. «All das sind Faktoren, die
zusammenspielen, aber unter dem Strich können wir nur Hypothesen
aufstellen darüber, warum die Zahlen nicht weiter steigen.»

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung,
Andreas Gassen, hat für den 30. Oktober die Aufhebung aller
Corona-Beschränkungen gefordert. «Nach den Erfahrungen aus
Großbritannien sollten wir auch den Mut haben zu machen, was auf der
Insel geklappt hat. Also braucht es jetzt eine klare Ansage der
Politik: In sechs Wochen ist auch bei uns Freedom Day!», sagte der
Kassenärztechef der «Neuen Osnabrücker Zeitung» (Samstag). Über d
iese
Forderung ist eine heftige Diskussion entbrannt.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält dies für «nicht ethisch
vertretbar». Die Welle der Pandemie, die dann käme, wäre zu groß,
warnte der SPD-Politiker auf Twitter. Besser wäre eine Öffnung, wenn
85 Prozent geimpft seien. Bis dahin sollte die 2G-Regel gelten.

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen widersprach Gassen
ebenfalls. Die Forderung widerspreche unter anderem der Haltung der
Mehrheit der niedergelassenen Ärzte. Für eine Lockerung der Maßnahmen

bräuchte es eine Impfquote bei den über 60-Jährigen von deutlich üb
er
90 Prozent, in der Gesamtbevölkerung bei den impffähigen Personen von
über 80 Prozent. Er nannte Gassens Vorschlag «zynisch». Auch der
Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, lehnte
Gassens Forderung ab.

Der FDP-Gesundheitsexperte Andrew Ullmann hält eigenen Angaben nach
eine Diskussion über eine Aufhebung der Corona-Regeln zwar für
richtig. Es sei aber zu früh dafür, ein konkretes Datum zu nennen,
sagte Ullmann auf NDR Info.In den kommenden Wochen müsse man die
Corona-Entwicklungen genau beobachten.

Zuspruch erhält Gassen derweil von der AfD. Spitzenkandidatin Alice
Weidel teilte mit: «Die Kassenärzte wissen besser als alle selbst
ernannten Gesundheitsexperten um die Corona-Lage und den Zustand
unseres Gesundheitssystems. (...) Die Notlage darf nicht zur neuen
Normalität werden. Statt 2G-Regime und Lockdown für Ungeimpfte
braucht Deutschland schnellstmöglich den Freiheitstag.»