Kleiner Piks, große Wirkung: Warum Grippeschutz jetzt wichtig ist Von Ulrike von Leszczynski und Christiane Oelrich, dpa

Bei den Coronaimpfungen in Deutschland geht es nur noch langsam
vorwärts. Doch schon steht die nächste Massenimpfung an. Was Sie
jetzt über den Grippeschutz wissen müssen.

Berlin (dpa) - Bald ist es wieder soweit: Von Anfang Oktober bis
Mitte Mai, wenn es kühl ist und sich das Leben meist drinnen
abspielt, zirkulieren Grippeviren besonders häufig. Die vergangene
Influenza-Saison ist in der Corona-Pandemie nun aber fast
ausgeblieben. Was bedeutet das? Und soll man sich gleichzeitig gegen
Grippe und Corona impfen lassen?

Was ist in diesem Jahr ungewöhnlich in Sachen Grippe?

Die vergangene Grippesaison ist in Deutschland das erste Mal seit
Jahrzehnten nahezu ausgefallen. Die Arbeitsgemeinschaft Influenza
(AGI) spricht mit Blick auf typische Atemwegsinfekte von einem
«vorher nie erreichten, niedrigen Niveau in den Wintermonaten». Das
lag vor allem an den Corona-Schutzmaßnahmen vom Maskentragen bis hin
zum langen Lockdown. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO war das ein
weltweites Phänomen. Die Rate positiv gemeldeter Influenza-Proben sei
zwischen September 2020 and Januar 2021 auf 0,2 Prozent gesunken - im
Vergleich zu 17 Prozent zwischen 2017 und 2020 im gleichen Zeitraum.

Was bedeutet das für den Grippe-Impfstoff für die anstehende Saison?

Daten zu den zuletzt zirkulierenden Virus-Varianten sind die
Grundlage dafür, wie genau der Grippeimpfstoff für die kommende
Saison zusammengesetzt ist. Produktionsstart ist meist schon im
Februar - um für Herbst und Winter ausreichend Impfstoff zu haben. Da
die letzte Grippewelle weltweit nahezu ausgefallen ist, ist die
Datenbasis zu den Erregertypen nun geringer. Trotzdem hat die WHO
keine Zweifel an der Effektivität des aktuellen Vakzins. Wenn auch
auf sehr niedrigem Niveau habe es ja Grippeviren-Aktivität gegeben,
teilte die Organisation auf Anfrage mit. Die globale
Influenza-Aktivität wird nach WHO-Prognosen auch niedrig bleiben.
Thomas Mertens, Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko), hält
Sorgen über weniger Schutzwirkung ebenfalls für unbegründet. Für
Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), ist die
Datenbasis aber eben längst nicht so gut wie in den Vorjahren. Die
Wirksamkeit lasse sich daher kaum abschätzen, sagte er jüngst auf
einem Kongress.

Für wen ist es sinnvoll, sich gegen Grippe impfen zu lassen?

Bei gesunden Kindern und Erwachsenen unter 60 Jahren verläuft eine
Influenza in der Regel ohne schwerwiegende Komplikationen. Deshalb
gibt es für sie auch keine Impfempfehlung - ihnen wird aber auch
nicht davon abgeraten. Ältere Menschen kann der Piks dagegen vor
schweren Grippeverläufen bis hin zu tödlichen Lungenentzündungen
schützen. Für das RKI gibt es auch zunehmend Hinweise darauf, dass
Grippe ein Risikofaktor für Herzinfarkte und Schlaganfälle ist. Als
günstigster Termin für die Impfung gilt die Zeitspanne zwischen
Oktober und Mitte Dezember, weil sich eine Grippewelle meist Anfang
des Jahres aufbaut. Die Stiko empfiehlt sie generell Menschen ab 60
Jahren, seit neuestem mit einem Hochdosis-Impfstoff.
Dazu kommen Empfehlungen für Schwangere und Menschen mit chronischen
Krankheiten. Geimpft werden sollte laut Stiko aber auch bei einem
erhöhten beruflichen Ansteckungsrisiko, zum Beispiel bei
medizinischem Personal und in allen Einrichtungen mit viel
Publikumsverkehr. Darüber hinaus gilt die Impfempfehlung für
Menschen, die Risikogruppen anstecken könnten, also zum Beispiel für
pflegende Angehörige.

Warum sollten sich Risikogruppen gerade in der Pandemie gegen Grippe
impfen lassen?

Die Gruppen, die einen schweren Krankheitsverlauf zu befürchten
haben, sind bei Influenza und Covid-19 sehr ähnlich. Es besteht sogar
die Möglichkeit, sich mit beidem zu infizieren und dadurch die
Krankheitsschwere zu potenzieren. Für Kliniken ist in der Pandemie
eine hohe Influenza-Impfquote nützlich, um Engpässe bei
Intensivbetten und Beatmungsplätzen zu vermeiden.

Kann man sich gleichzeitig gegen Grippe und Covid-19 impfen lassen?

Stiko-Chef Thomas Mertens sah dabei in einem MDR-Interview jüngst
kein Problem. Eine generelle Empfehlung gibt es laut RKI dazu aber
noch nicht, eine schriftliche Äußerung der Stiko dazu solle im Laufe
des Septembers folgen. Der Hausärzteverband steht einer
Doppel-Impfung offen gegenüber. Es sprächen zwei klare Vorteile
dafür, sagte der Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt der Deutschen
Presse-Agentur. Zum einen bestünde die Gefahr, dass manche
Patientinnen und Patienten nur eine der beiden Impfungen wahrnähmen,
weil sie nicht zu mehreren Impfterminen hintereinander erscheinen
möchten. «Außerdem würde sich gleichzeitig das mögliche
Ansteckungsrisiko durch die Vermeidung eines zusätzlichen Impftermins
reduzieren», ergänzte er. Einzelne Praxen sehen das aber durchaus
anders. Für sie gilt die Regel von einer Impfung pro Tag - und beim
Grippe- oder Coronaschutz die nächste erst 14 Tage später.

Wie hoch sind die Grippe-Impfquoten in Deutschland?

In den Risikogruppen sind sie seit Jahren zu niedrig und zeigen ein
deutliches Ost-West Gefälle - jedoch ganz anders als bei Corona: In
der Saison 2019/20 ließ sich nach RKI-Angaben in westlichen
Bundesländern im Schnitt nur ein Drittel der Senioren impfen (34,8
Prozent), in den östlichen Bundesländern war es dagegen mehr als die
Hälfte (57,1 Prozent). Bei Ärzten liegt die Impfquote mit 79,3
Prozent am höchsten, in der Pflege waren es 46,7 Prozent.
Grippeimpfstoff ist in Deutschland bisher generell noch nicht knapp
geworden, lokale Engpässe sind aber mitunter möglich. Zur Verfügung
stehen in jeder Saison mehr als 20 Millionen Dosen.

Wie hoch ist die Wirksamkeit von Grippe-Impfstoff?

Das kann unabhängig von der Corona-Pandemie in den einzelnen Saisons
sehr unterschiedlich sein. Die Zusammensetzung des Impfstoffes wird
zwar jährlich aktualisiert. Es sei trotzdem möglich, dass in der
folgenden Saison Influenzaviren nicht so gut mit den im Impfstoff
enthaltenden Virusstämmen übereinstimmten, heißt es beim RKI. Grund
sei zum Beispiel, dass sich während der Produktionszeit des Vakzins
andere Stämme durchgesetzt hätten. Bei einer sehr guten
Übereinstimmung der zirkulierenden Influenzaviren mit dem Impfstoff
wurde bei jungen Erwachsenen laut RKI eine Schutzwirkung von bis zu
80 Prozent beobachtet. Die Trefferquote kann je nach Saison und
Entwicklung aber auch deutlich niedriger liegen. Ältere Menschen
haben beim Grippeimpfstoff oft eine reduzierte Immunantwort. Dennoch
könne sich auch ihr Risiko, an Influenza zu erkranken, durch die
Impfung im Durchschnitt etwa halbieren, heißt es beim RKI. Aufgrund
der Häufigkeit von Influenza könnten in Deutschland trotz der
bescheidenen Impfquoten bisher pro Jahr rund 400 000 Grippefälle bei
Senioren verhindert werden.

Wie viele Todesfälle durch Grippe gibt es jedes Jahr in Deutschland?

Diese Zahl kann nur geschätzt werden. Denn zum einen wird längst
nicht bei jeder Atemwegserkrankung auf Influenza getestet. Zum
zweiten sterben viele Menschen nach einer Influenza-Infektion an
einer Lungenentzündung als Komplikation. Grippeviren sind dann aber
oft schon nicht mehr nachweisbar. Deshalb wird die Zahl der Toten als
Differenz berechnet. Sie ergibt sich, wenn von der Zahl aller
Todesfälle während der Influenzawelle die Todesfallzahl abgezogen
wird, die es ohne diese Welle gegeben hätte. Das Schätz-Ergebnis wird
als «Übersterblichkeit» bezeichnet. Die Zahl der Toten kann bei
Grippewellen in Deutschland stark schwanken, von mehreren Hundert bis
über 20 000. Bisher gab es auch drei Grippe-Pandemien. 1918/19
starben dabei nach RKI-Angaben 426 600 Menschen im damaligen
Deutschen Reich. 1957/58 gab es geschätzte 29 100 Todesfälle in
Deutschland, zwischen 1968 und 1970 waren es geschätzte 46 900
Grippetote. Zum Vergleich: Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie
sind in absoluten Zahlen bisher rund 92 800 Menschen in Deutschland
gestorben.