Licht in Pandemie-Dunkelheit finden: WHO-Kommission fordert Reformen

Die Corona-Pandemie hat verheerende Folgen, Fehler dürfen sich nicht

wiederholen: Zu diesem Schluss kommt eine von der WHO Europa
eingesetzte Kommission. Sie ruft zu umfassenden Reformen im
Gesundheitswesen auf - und spart nicht mit Kritik.

Kopenhagen (dpa) - Die Länder Europas und darüber hinaus müssen nach

Ansicht einer Sonderkommission der Weltgesundheitsorganisation WHO
dringend ihre Gesundheitssysteme reformieren. Die Welt sei mit der
Coronavirus-Pandemie einem monumentalen und ungewollten Stresstest
begegnet, sagte der Kommissionsvorsitzende und italienische
Ex-Ministerpräsident Mario Monti am Freitag bei der Vorstellung eines
Abschlussberichts des Gremiums. Daraus müssten umfassende Lehren
gezogen werden.

«Und wie sich die Ereignisse in den Monaten seitdem entwickelt haben,
können wir keinen Zweifel daran haben, dass unsere politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Systeme katastrophal dabei gescheitert
sind, die bestimmende Krise unserer Zeit zu bewältigen», sagte Monti.
Es habe an Voraussicht und dem Willen gefehlt, Einigkeit zu
drängenden Fragen zu erzielen. Länder hätten auf sich selbst geschaut

und versucht, transnationale Probleme mit veralteten nationalen
Lösungen zu finden. Der Italiener machte klar, dass man aus den
Fehlern und verheerenden Pandemiefolgen lernen müsse. «Aus dieser
Dunkelheit müssen wir versuchen, Licht zu schöpfen.»

Die Monti-Kommission, die offiziell Paneuropäische Kommission für
Gesundheit und nachhaltige Entwicklung heißt, ist im August 2020 vom
WHO-Regionalbüro Europa eingesetzt worden, um ebendiese Lehren zu
ziehen und Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten. In ihrem nun
vorgelegten Abschlussbericht empfieht sie mehrere umfassende Reformen
der Gesundheits- und Sozialsysteme: Gemäß eines «One Health»-Konzep
ts
müsse unter anderem die Verflechtung der Gesundheit von Menschen,
Tieren, Pflanzen und ihrer gemeinsamen Umwelt anerkannt werden,
schrieben Monti und seine Mitstreiter.

Den in der Pandemie deutlich gewordenen tiefsitzenden Ungleichheiten
bei der Gesundheitsversorgung sowie in sozialer, wirtschaftlicher und
geschlechtsbezogener Hinsicht müsse begegnet werden, hieß es. Zudem
müsse stärker in die nationalen Gesundheitssysteme sowie in
Innovationen und das Sammeln und Teilen von Daten investiert werden.
Alleingänge seien künftig zu vermeiden.

Trotz wiederholter Warnungen von Wissenschaftlern vor einer globalen
Pandemie sei die Welt nicht auf das Ende 2019 aufgetretene
Coronavirus vorbereitet gewesen, monierte die WHO Europa. Voneinander
abweichende und fehlerhafte politische Schritte hätten dazu geführt,
dass die Folgen von Covid-19 katastrophal gewesen seien und es weiter
blieben. Mehr als 1,2 Millionen Menschen seien in Verbindung mit
einer Corona-Erkrankung in der europäischen Region gestorben,
die Wirtschaft habe zudem einen beispiellosen Abschwung erlebt, der
selbst die globale Finanzkrise 2008 in den Schatten stelle.

WHO-Regionaldirektor Hans Kluge bezeichnete die Empfehlungen der
Kommission als eine ambitionierte, aber realistische Agenda für eine
gesündere und sicherere Zukunft. «Das sind umsetzbare Empfehlungen,
die Regierungen und Entscheidungsträgern Werkzeuge an die Hand geben,
um künftige Gesundheitsbedrohungen zu verhindern und besser zu
handhaben», sagte er.

Es liege nun an den Ländern und internationalen Organisationen,
Gesundheit als ein Topthema beizubehalten und die Empfehlungen
umzusetzen. «Wir haben bereits einen kolossalen Preis bezahlt, aber
es ist ein noch höherer Preis zu zahlen, wenn wir die Augen
verschließen und nicht aus unseren Fehlern lernen», so Kluge. Monti
sagte: «Künftige Generationen werden uns nicht für unsere
Kurzsichtigkeit danken. Wir brauchen eine neue Vision.»

Der Monti-Kommission gehören Vertreterinnen und Vertreter aus
Wissenschaft, Politik und Wirtschaft an, darunter die deutsche
Ökonomin Luise Hölscher. Die WHO-Region Europa besteht aus 53
Ländern, darunter nicht nur die Mitgliedstaaten der EU, sondern etwa
auch Russland, weitere osteuropäische Nationen und die Türkei.