Mit Apfelschorf fing alles an: 100 Jahre Forschung zu Pflanzenschutz Von Marco Krefting, dpa

Als es nach dem Ersten Weltkrieg Krankheiten wie den Apfelschorf zu
bekämpfen galt, spielten Umwelterwägungen noch keine Rolle. Nicht nur
in diesem Punkt hat sich viel geändert in 100 Jahren
Pflanzenschutz-Forschung.

Dossenheim/Siebeldingen (dpa) - Früher habe man noch viel stärker
durchs Mikroskop geguckt, sagt Wilhelm Jelkmann. «Der weiße Kittel
ist geblieben», stellt der Leiter des Instituts für Pflanzenschutz in
Obst- und Weinbau fest. Aber heute stünden in den Laboren zehn Arten
von Mikroskopen «und eine ganze Armada weiterer Analysegeräte».

Das Institut mit Standorten in Dossenheim und Siebeldingen jeweils
nahe der Grenze zwischen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist
eine von 17 Facheinrichtungen des Julius Kühn-Instituts (JKI), dem
Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen mit Sitz in Quedlinburg
(Sachsen-Anhalt). Die 60 Mitarbeiter forschen, beraten die Politik
und sind in den Zulassungsprozess für neue Pflanzenschutzmittel
eingebunden. Am Sonntag (12. September) feiern sie mit einem Tag der
offenen Tür in Dossenheim 100 Jahre Forschung zu Pflanzenschutzfragen
im Obst- und Weinbau.

Angefangen hatte es mit Missernten nach dem Ersten Weltkrieg.
Apfelschorf und Apfelwickler, der Peronospora-Pilz und die Reblaus
waren damals bedeutsame Schädlinge. Auch Witterung und falsche
Kultivierung hätten eine Rolle gespielt, sagt Jelkmann. Viele
Krankheitserreger habe man seinerzeit überhaupt noch nicht gekannt.

Die Lösung waren Pflanzenschutzmittel, die breit wirksam waren - die
aber Kollateralschäden in Flora und Fauna hinterließen. «Was man
heute überhaupt nicht mehr tolerieren würde», so Jelkmann. Folgen f
ür
die Umwelt seien erst mit der Zeit wichtiger bei einer Beurteilung
geworden.

Im Laufe der Jahre wurden immer mehr potenzielle Pflanzenschädlinge
gefunden. Phytoplasmen - zellwandfreie Bakterien - wurden in den
1960er Jahren entdeckt. Neu hinzu kamen auch die sogenannten Viroide,
die nur aus einem zum Ring geschlossenen Erbgutstrang bestehen und
wirtschaftlich bedeutsame Infektionen wie die Cadang-Cadang-Krankheit
bei Palmen auslösen. Mit der Zahl gefundener Schädlinge wuchs auch
die der Mittel dagegen.

Inzwischen sind nach Angaben des Bundesamts für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit 980 Pflanzenschutzmittel und 283 Wirkstoffe in
Deutschland zugelassen, Tendenz seit Jahren steigend. Auf EU-Ebene
sind sogar 455 Wirkstoffe genehmigt. Jedes Jahr kämen im Schnitt zehn
neue auf den Markt, erläutert ein Sprecher. Viele wirkten
hochspezifisch. «Um alte, breitenwirksame Wirkstoffe in ihrem
Wirkspektrum vollständig zu ersetzen, sind deshalb mehr Wirkstoffe
notwendig», erklärt er. Auch würden nach Ablauf eines Patentschutzes

für einen Wirkstoff vermehrt Anträge für Generika-Produkte gestellt,

also für Mittel, die in der Zusammensetzung dem Original gleichen.

Pflanzenschutz über chemische Mittel steht nicht erst seit dem Streit
um das Totalherbizid Glyphosat im öffentlichen Diskurs. Der Rückgang
von Insekten, Folgen für die menschliche Gesundheit, aber auch
wirtschaftlich lohnende Erträge für Bauern sind dabei Thema. «Um die

Bevölkerung zuverlässig mit hochwertigen Nahrungsmitteln versorgen zu
können, brauchen wir Pflanzenschutzmittel - sowohl in der
konventionellen als auch der ökologischen Landwirtschaft», sagt
Bauernverband-Präsident Joachim Rukwied.

Studien belegen allerdings immer wieder Grenzwert-Überschreitungen
bei Pestiziden. Zudem warnen Forschende, dass gerade die Kombination
verschiedener Wirkstoffe sowie ein Mix mit weiteren Faktoren wie
Parasitenbefall oder Nahrungsmangel Bienen und anderen Bestäubern
noch viel mehr schaden könnte als bisher bekannt.

Nicht nur hierbei sind noch viele Fragen offen. Über das
Zusammenspiel mancher Erreger, die Pflanzen befallen, wisse man zum
Beispiel noch recht wenig, sagt Jelkmann. Auch beim Einsatz von
Gentechnik und der Pflanzen-Kommunikation über Duftstoffe gibt es
demnach noch viel zu klären.

Ökologischer Anbau, Klimawandel und Fortschritte bei der Technik
bringen den JKI-Fachleuten weitere Forschungsfragen. In den
vergangenen Jahren hätten auch invasive Arten an Bedeutung gewonnen,
sagt Jelkmann. Die Ausbreitung sei vor allem durch den
internationalen Handel und Tourismus begünstigt worden. «Wann immer
Wandel da ist, hat das immer auch Auswirkungen auf die Schädlinge.»