«Keine gute Idee» - Infektiologe sieht Fußball-EM mit Sorge

Der erste Sieg der deutschen Elf bei der Fußball-EM wird ordentlich
gefeiert - von Tausenden bei Public Viewings und im Münchner Stadion.
Dabei ignorieren sehr viele die Regeln, die in der Corona-Pandemie
für alle gelten. Ein Infektiologe sieht das mit Sorge.

München/Regensburg (dpa) - Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft
für Infektiologie, Bernd Salzberger, sieht die
Fußball-Europameisterschaft mit Sorge. «Ich verstehe den Drang nach
draußen und in die Biergärten. Draußen zu feiern ist sicher besser
als in geschlossenen Räumen zu feiern, aber gerade die Begeisterung
lässt auch Tröpfchen und Viren fliegen», sagte der Infektiologe vom
Universitätsklinikum Regensburg der Deutschen Presse-Agentur. «In
dieser Situation ist die EM beziehungsweise jede große Veranstaltung
vermutlich keine gute Idee.»

Tausende Fans hatten am Wochenende im Stadion, in der Münchner
Innenstadt und in vielen anderen deutschen Städten feucht-fröhlich -
und vielfach ohne Masken oder Abstand - den Sieg der deutschen
Mannschaft gegen Portugal gefeiert. Biergärten und Gaststätten waren
teilweise brechend voll mit Fans in Deutschland-Trikots, die auf
Bildschirmen das Spiel verfolgten.

Getrübt wurde die Freude über den Sieg aus Sicht des bayerischen
Gesundheitsministers vor allem von der Ignoranz Tausender Fans im
Stadion - denn sie trugen entgegen der ausdrücklichen Vorschrift
keine FFP2-Masken. Klaus Holetschek (CSU) kritisierte dies als
fahrlässig, nachdem die Spitzenpolitik zuvor bereits die fehlende
Masken-Motivation vieler Fans kritisiert hatte.

«Mit einer gewissen Hoffnung schaue ich auf die niedrigen Inzidenzen
in fast ganz Europa», sagte Salzberger. «Trotzdem machen mir die
vollen Stadien zur Zeit Sorgen. Der Zustand in Großbritannien zeigt,
dass wir auch mit dem derzeitigen Stand der Impfung noch nicht sicher
sind.»

Die Münchner Virologin Ulrike Protzer sagte der Deutschen
Presse-Agentur am Montag: «Ich denke, in den Biergärten kann man
ruhig lockerer sein, da die Infektionszahlen insgesamt ja sehr
niedrig sind und damit auch das Risiko gering, dass man jemanden
trifft, der infiziert ist.» Schließlich sei die die Ansteckungsgefahr
im Freien minimal.

Die EM durchzuführen, halte sie für vertretbar. «Wir müssen ja
langsam wieder in Richtung Normalität zurückkehren», sagte die
Direktorin des Instituts für Virologie am Helmholtz Zentrum München
und an der Technischen Universität München. «Ein Risiko sehe ich
allerdings für die Ausbreitung von Virus-Varianten, ob der vielen
internationalen Gäste, wenn der Abstand beim Schreien nicht
eingehalten wird beziehungsweise beim Ein- und Auslass, und dabei
keine Masken getragen werden.»

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) als Gastgeber der vier EM-Spiele in
München hatte versprochen, die Zuschauer besser zum Tragen der Masken
zu bewegen - doch vergeblich. Holetschek setzte deswegen schon am
Samstagabend direkt nach dem Portugal-Spiel den DFB unter Druck und
forderte den Verband auf, plausibel darzulegen, wie er beim nächsten
Spiel am Mittwoch gegen Ungarn die Masken-Regeln durchsetzen will.
Etwas immerhin ist im Stadion klar geregelt: Laut DFB dürfen nur Fans
in die Arena, die von einer Covid-Erkrankung genesen sind,
vollständig gegen das Virus geimpft oder frisch negativ getestet
wurden.

Diese Kontrolle hat man jenseits des Stadions jedoch nicht - und beim
Public Viewing hielten sich längst nicht alle Menschen im
Freudentaumel an die Abstandsregeln und sonstige
Anti-Corona-Maßnahmen. Stattdessen lagen sich nach den Toren der
deutschen Fußball-Nationalmannschaft die Fans in den Armen und waren
dicht an dicht gedrängt, wie Reporter berichteten.