Strukturwandel in der Lausitz: «Wir brauchen die Frauen» Von Miriam Schönbach, dpa

Die Studie «Lausitz Monitor» zeigt, dass es vor allem junge Frauen
aus Deutschlands östlichstem Braunkohlerevier zieht. Ein Problem für
die Region. Wie hält man sie - und lockt Rückkehrerinnen?

Weißwasser (dpa/sn) - Ihre Position ist so rigoros wie provokant:
«Die Männer müssen sich in der Lausitz ändern, damit die jungen
Frauen bleiben. Wir brauchen die Frauen, um die Zukunft zu
gestalten», sagt Franziska Stölzel. Die 27-Jährige ist Rückkehrerin
,
Sozialwissenschaftlerin, Netzwerkerin - und eher untypisch für die
Region östlich von Dresden. Denn laut Lausitz Monitor - einer
repräsentativen Bevölkerungsumfrage zum Strukturwandel - will fast
jeder Zweite zwischen 18 und 39 der Lausitz den Rücken kehren. Dabei
laufen vor allem junge Frauen der Region davon.

Der Trend ist nicht neu. Fast ein Viertel der ursprünglich 16
Millionen Ostdeutschen zog nach der politischen Wende in zwei
Abwanderungswellen in den Westen. Die Ersten gingen um 1989, eine
zweite Welle folgte um 2000. Wie die Bevölkerungsstatistiken zeigen,
ist die Region Oberlausitz besonders betroffen. Weil es immer weniger
Jobs in der Braunkohle- und der Textilwirtschaft gab, packten viele -
auch damals oft Frauen - ihre Koffer. Heute fehlen sie in Politik,
Kultur, Wirtschaft und im Sozialen.

Geblieben sind Städte wie zum Beispiel Hoyerswerda (Landkreis
Bautzen) und Weißwasser (Landkreis Görlitz). Vor 1989 gehörten sie
zu
den jüngsten Städten der DDR - heute stehen die Orte als Synonym der
am stärksten schrumpfenden Städte Deutschlands. Auch Stölzels Eltern

verließen nach der Wende das heimatliche Weißwasser, kehrten mit der
Einschulung ihrer Tochter zurück aus Bayern. Sie kenne
Schuljahrgänge, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni Graz
mit Außenstelle in Weißwasser, die zu 90 Prozent weg seien.

Diese Entwicklung sehen auch die Lausitzer Bürgermeister. Die
Kommunalvertreter haben die Verfasser des Lausitz Monitors nach der
ersten Auflage 2020 gebeten, in ihrer Studie auch die
Wanderungsbereitschaft junger Menschen, insbesondere der Frauen,
anzuschauen. «Das Ergebnis war ernüchternd», sagt Jörg Heidig.
Zusammen mit dem Leipziger Marktforschungsunternehmen MAS Partners
hat der Psychologe im Februar 2021 insgesamt 1000 Lausitzer erneut zu
Strukturwandel, zur Wirtschaftsregion Lausitz und zur regionaler
Verbundenheit befragt. Geplant ist eine Langzeitstudie. 

Die aktuellen Ergebnisse liefern ein Stimmungsbild der Region
zwischen Cottbus, Spreewald und Görlitz. Etwa zwei Drittel (64
Prozent) der Befragten geben an, die Lausitz zu lieben. Auch den
Strukturwandel befürworten immerhin mehr als die Hälfte (57 Prozent),
vermissen jedoch die klare Vision. Die meisten Interviewten sind mit
der persönlichen Lebenssituation zufrieden.

Und dennoch: «Für jeden zehnten Lausitzer ist es wahrscheinlich, dass
er in den nächsten zwei Jahren die Region verlässt. Bei den jungen
Leuten zwischen 18 bis 39 wollen sogar knapp die Hälfte weg», fasst
Heidig zusammen. Die differenzierte Betrachtung der Gruppe der jungen
Frauen zeigt: Jede Fünfte will weg, ohne Rückkehroption und mit wenig
Lausitz-Verbundenheit. «Sie interessieren sich weder für Heimat,
Tagebau und Strukturwandel. Ihre Themen sind Kinderbetreuung,
Bildung, Wohnen», sagt Heidig. Zudem hätten sie erkannt, dass
diejenigen, die bleiben, sich eher in klassischen Rollenbildern
wiederfinden. Zwei Drittel der Befragten verbinden die Lausitz mit
konservativen Werten.

Stölzel kennt Hierbleiber- und Weggeher-Biografien. Sie sitzt im Hof
des soziokulturellen Zentrums «Telux» in Weißwasser. Hier hat die
Wissenschaftlerin Anschluss an andere Kreative und ihr Büro, wo sie
den Kohleausstieg für das EU-Projekt «Reboost» im Lausitzer Revier
betrachtet. Die Studie untersucht, wie Rumänien, Polen und
Deutschland den Transformationsprozess vorantreiben können.

In den weitläufigen ehemaligen Industriehallen gibt es in
Nicht-Pandemie-Zeiten Coworking Spaces, ein Café, Konzerte, Poetry
Slams, Workshops - ein Hauch von Großstadtflair. «Solche Orte, wie
diese hier, machen das Bleiben einfacher. Aber Weißwasser ist
natürlich nicht zu vergleichen mit der Clubszene in Berlin oder
München», sagt Sozialwissenschaftlerin Stölzel. Durch ihre
wissenschaftliche Arbeit lernt Stölzel ihre Heimat neu kennen, unter
anderem führt sie Interviews zum Strukturwandel mit Entscheidern.

Denn Entscheiderinnen sind genauso rar wie Unternehmerinnen. In den
meisten Rathäusern der Lausitz sitzen Chefs in den Chefetagen, in den
Gemeinde- und Stadträten sind nur knapp 20 Prozent Frauen. Die große
Sorge sehen viele ihrer männlichen Befragten im Image der Lausitz:
kohlebraun, unzufrieden, konservativ, politisch rechts. «Dabei gibt
es so viele Projekte und Initiativen, Lausitzerinnen, die etwas
bewegen, aber wahrscheinlich nicht gesehen werden. Junge Leute
bekommen so das Gefühl, dass sie gehen müssten.»

An diesem Nachmittag ist auch Raumpionierin und Ansprechpartnerin für
potenzielle Zuzügler, Arielle Kohlschmidt, in die sächsische Stadt am
Tagebau Nochten gekommen. «Strukturwandel ist von Männern für Män
ner
gedacht. Frauen aber gründen klein», sagt sie. Deshalb brauche es
bessere Bedingungen für junge Frauen. Schließlich sei ihr Bleiben von
zentraler Bedeutung für die demografische und gesellschaftliche
Entwicklung.

Wie soll die Lausitz die Frauen halten? Kohlschmidt ist vorsichtig
optimistisch. In ihrer Raumpionierstation seien in der Pandemie die
Nachfragen der Zuzügler und Rückkehrer um 30 bis 40 Prozent
gestiegen, den Kontakt würden oftmals Frauen machen. «Es ist nicht
mehr lustig in den Städten», sagt sie. Aus diesem Grund will die
Raumpionierstation in diesem Jahr wieder Treffen für Interessierte,
Rückkehrwillige, Neu-Lausitzer und Großstadt-Müde organisieren. Die
«Landebahn für Landlustige» soll 18. September in Bad Muskau sein.

Stölzel setzt auf eine neue, selbstbewusste Lausitzer
Frauen-Generation - und steht selbst dafür. Sie macht sich stark im
Lausitzer Frauen-Netzwerk «F wie Kraft», sie überlegt mit anderen
Frauen zusammen, in die Kommunalpolitik zu gehen. Aus ihrer Sicht
müssten die oft nach dem «Gießkannenprinzip» funktionierenden,
Programme für Fachkräfte viel stärker auf Frauen ausgelegt werden.
Soziale Berufe besser entlohnt, Unternehmen Initiativen für junge
Frauen auflegen. «Wir können die Zukunft nicht über die Vergangenheit

gestalten. Wir stehen an einer Grenze.»