Sozialverbände kritisieren Wegfall der Impfpriorisierung

Seit der zweiten Juniwoche ist die Vergabe von Corona-Impfterminen
für alle geöffnet. Besonders gefährdete Gruppen haben dabei das
Nachsehen, bemängeln Sozialverbände. Hoffnung ruht nun auf den
Hausärzten.

Stuttgart (dpa/lsw) - Sozialverbände im Südwesten haben den Wegfall
der Corona-Impfpriorisierung kritisiert. Da die Terminvergabe seit
dem 7. Juni für alle geöffnet ist, sehen sie gefährdete Gruppen
benachteiligt. Die Geschäftsführerin des Landesverbands für Menschen

mit Körper- und Mehrfachbehinderung (LVKM), Jutta Pagel-Steidl, wies
darauf hin, dass zahlreiche Menschen aus den Prioritätengruppen 1 und
2 bislang weder geimpft seien noch einen Termin hätten.

Sie sei aber froh, dass nun auch Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren
grundsätzlich impfberechtigt seien. Allerdings nehme sie wahr, dass
die Nachfrage von gesunden Kindern und Jugendlichen sehr groß sei.
Sie befürchte, Menschen mit Behinderung und Vorerkrankung könnten das
Nachsehen haben.

Auch der nachvollziehbare Wunsch, entspannt und ohne Einschränkungen
in den Sommerurlaub zu fahren, dürfe nicht dazu führen, dass Menschen
mit Vorerkrankungen und Behinderungen jeglichen Alters länger als
notwendig auf einen Impftermin warten müssen, sagte Pagel-Steidl. Es
gehe darum, einen schweren oder gar tödlichen Verlauf zu verhindern.

Der Vorsitzende des Sozialverbands VdK Baden-Württemberg, Hans-Josef
Hotz, sagte, mit der kompletten Öffnung der Impfberechtigung werde
die Erwartung verknüpft, gleich einen Impftermin zu erhalten. Das
werde nicht erfüllbar sein und zu Lasten der gefährdeten, besonders
schützenswerten Menschen gehen. Denn es sei klar: Die Vergabe von
Impfterminen in den Impfzentren gestalte sich weiter fast
aussichtslos, sagte Hotz. Hausärzte berichteten zudem von
schwankenden Liefermengen, was die Planbarkeit der Impfungen
erschwere und Menschen, die nicht mehr sehr mobil sind, stark
benachteilige.

Bei der Lebenshilfe Baden-Württemberg sieht man parallel zum Wegfall
der Impfpriorisierung am 7. Juni auch eine Verbesserung der
Impfkampagne. Es sei lange Zeit sehr schwierig gewesen, an einen
Impftermin zu kommen, sagte Geschäftsführerin Stephanie Dorsch;
insbesondere für Menschen mit Behinderung, die außerhalb von
Einrichtungen lebten. Doch seit rund einem Monat gelinge der Zugang
zu den Impfungen besser.

Der Landesseniorenrat weist darauf hin, dass der größte Teil der
Menschen über 60 Jahre und mit Vorerkrankungen geimpft sei. Zudem
würden Hausärzte weiterhin priorisieren, da der Impfstoff rar sei.

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts sind bislang mehr als 80
Prozent der über 60-Jährigen im Südwesten mindestens einmal geimpft
und knapp 55 Prozent zweimal. Ein Sprecher des Gesundheitsministerium
teilte mit, die Sterbezahlen gingen zurück. Das sei das vorrangige
Ziel zu Beginn der Impfungen gewesen. Zudem priorisierten etwa die
Hausärzte weiter, um so die Patienten zu schützen, die eine Impfung
am dringendsten brauchen. Das Ministerium verwies auch auf die
Bemühungen von Land, Kommunen und Ärzten beim «sozialen Impfen» in

benachteiligten Stadtteilen.