Sorge wegen Delta-Variante - Intensivmediziner optimistisch

In einigen Ländern steigen die Infektionszahlen mit dem Coronavirus
bereits wieder an - vor allem wohl wegen der Delta-Variante. Auch in
Deutschland könnte diese bald vorherrschend sein. Politiker und
Experten warnen - doch es gibt auch verhaltenen Optimismus.

Berlin (dpa) - Trotz sinkender Coronazahlen in Deutschland gibt es
verstärkt Sorgen wegen der möglicherweise gefährlicheren
Delta-Variante des Coronavirus. Hessens Ministerpräsident Volker
Bouffier (CDU) schloss deshalb eine Rückkehr zu Kontaktbeschränkungen
nicht aus. «Ich rechne damit, dass die Delta-Variante in einem Monat
auch in Deutschland die vorherrschende Variante ist», sagte er dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Montag). Dann stelle sich die
Frage: «Wie wirkt welches Vakzin auf sie?» Man könne auch nicht
ausschließen, das Menschen infiziert aus dem Sommerurlaub
zurückkehren. Von den Antworten auf diese Fragen hänge ab, «ob wir
eine vierte Welle bekommen und wieder zu Kontaktbeschränkungen
zurückkehren. Ausschließen können wir das nicht».

Nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geht es in der
derzeitigen Pandemie-Phase auch mit Blick auf die Delta-Variante
darum, die richtige Balance zu finden. «Wir können jetzt lockern»,
sagte der CDU-Politiker am Sonntagabend in der ARD-Sendung «Bericht
aus Berlin». Die Stimmung dürfe aber nicht zu Übermut führen. «Al
so:
Zuversicht für den Sommer, aber eben auch Vorsicht vor allem dann
auch Richtung Herbst und Winter.»

Mit Blick auf Kinder und Jugendliche sagte Spahn: «Unser Ziel sollte
sein, so viel Normalität wie möglich nach den Ferien auch für die
Schulen, aber eben auch so viel Sicherheit wie möglich.» Eine
Möglichkeit dabei seien Impfungen für Kinder ab zwölf Jahren. «Wir

können bis Ende August, jedem über 12-Jährigen, der geimpft werden
will, mindestens die erste Impfung angeboten haben.» Für alle
Nicht-Geimpften brauche es auch weiterhin mindestens regelmäßiges
Testen.

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische
Intensivmedizin und Notfallmedizin, Christian Karagiannidis, rechnet
in einer möglichen vierten Corona-Welle mit weniger Patienten auf den
Intensivstationen. «Wir werden, wenn es im Herbst zu einem
Wiederanstieg der Infektionszahlen kommt, sehr genau auf die
Neuaufnahmen auf den Intensivstationen schauen müssen. Wenn die
vulnerablen Gruppen bis dahin sehr gut geimpft sind, könnte es auch
bei höheren Inzidenzen viel weniger schwere Verläufe geben», sagte er

der «Rheinischen Post» (Montag).

Bisher seien die Intensiv-Neuaufnahmen weitestgehend parallel zu den
Inzidenzen verlaufen. Wenn die vulnerablen Gruppen sehr gut geimpft
seien, könne es im Sommer erstmals zu einem abweichenden Verhalten
kommen. Die Inzidenzen würden dann stärker steigen als die
Intensiv-Aufnahmen, weil die potenziellen Patienten durch Impfung
besser geschützt seien.

Oppositionspolitiker forderten von der Bundesregierung einen
konkreten Fahrplan, wie der Delta-Variante begegnet werden soll. «Das
Politikversagen, das wir im letzten Jahr durch fehlende Luftfilter in
Schulen, volle Busse und Bahnen und viel zu wenig Schutz am
Arbeitsplatz erleben mussten, darf sich nicht wiederholen», sagte die
Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali, der «Welt». «Die

Bundesregierung muss endlich aus ihren Fehlern lernen und die
Strukturen schaffen, um einen guten Herbst und Winter zu
ermöglichen.»

Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen sagte der Zeitung:
«Die Bundesregierung darf den Sommer nicht verschlafen und muss
Deutschland jetzt für den Herbst vorbereiten.» Man befinde sich in
einem Wettlauf zwischen Impftempo und neuen Mutationen. «Es ist daher
wichtig, vorerst an Masken in Innenräumen und Schnelltests
festhalten.»

Der stellvertretende FDP-Fraktionschef Michael Theurer verwies auf
Risiken im Reiseverkehr. «Letztes Jahr hat das
Reiserückkehrmanagement komplett versagt.» Davon sei eine
Infektionswelle ausgelöst worden. Von einem erneuten Lockdown hält
die FDP nichts. «Die Politik muss raus aus der Lockdown-Logik», so
Theurer. Die AfD warnte vor einem weiteren Eingriff in
Freiheitsrechte. «Die Bürger haben ein Recht darauf, ihre
bürgerlichen Freiheiten wieder in Anspruch zu nehmen und Zug um Zug
zur Normalität zurückzukehren», sagte der stellvertretende
Fraktionsvorsitzende Sebastian Münzenmaier der «Welt».

Auch der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen
Gesundheitsdienstes forderte eine gute Vorbereitung auf eine mögliche
vierte Corona-Welle. «Keiner weiß, ob und in welchem Umfang es eine
vierte Welle geben wird. Aber wenn sie kommt, sollten wir darauf gut
vorbereitet sein: Es ist sehr wichtig, dass die Gesundheitsämter
jetzt zügig zusätzliches Fachpersonal erhalten», sagte die
Vorsitzende Ute Teichert der «Rheinischen Post» (Montag).

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierte unterdessen das
Auslaufen der Homeoffice-Pflicht. «Die Homeoffice-Regelungen hätten
verlängert werden müssen», sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel den

Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag). «Noch sind wir nicht durch
mit der Pandemie, und es ist erwiesen, dass das Infektionsrisiko in
geschlossenen Räumen deutlich höher ist.» Erleichtert zeigte sich
dagegen die Bundesvereinigung der Arbeitgeber. «Die deutsche
Wirtschaft begrüßt das Auslaufen der Verordnung zum Homeoffice, da
dieser bürokratische Aktionismus ein überflüssiges Einmischen der
Politik war», sagte Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter den
Funke-Zeitungen.