Hoffen auf 10 Prozent plus - Linke berät über Wahlprogramm

Drei Monate vor der Bundestagswahl stehen die Umfragewerte für die
Linke schlecht. An diesem Wochenende will sie auf einem Parteitag ihr
Wahlprogramm beschließen und hofft auf neuen Schwung für den
Wahlkampf.

Berlin (dpa) - Unter dem Eindruck schwacher Umfragewerte und
innerparteilicher Auseinandersetzungen startet die Linke an diesem
Samstag in einen zweitägigen Online-Parteitag. Bei dem
Delegiertentreffen will die Partei ihre Positionen für den
Bundestagswahlkampf festlegen und ein Wahlprogramm beschließen. Zur
Debatte und Abstimmung liegt ein rund 120-seitiger Entwurf des
Parteivorstands vor. Etliche Änderungsanträge waren vorab
eingegangen.

Spitzenkandidat und Fraktionschef Dietmar Bartsch bleibt
optimistisch, dass ein zweistelliges Ergebnis bei der Wahl möglich
ist. Man werde ein «erstklassiges Wahlprogramm» verabschieden, sagte
Bartsch der Deutschen Presse-Agentur. «Ich bin sehr zuversichtlich,
dass von diesem Wochenende eine Dynamik ausgehen wird, die am Ende in
einem zweistelligen Wahlergebnis mündet.»

In Umfragen stand die Linke zuletzt nur zwischen sechs und sieben
Prozent. Bei der Bundestagswahl 2017 erreichte sie 9,2 Prozent. Ein
Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde hatte Bartschs
Co-Spitzenkandidatin und Parteichefin Janine Wissler zwar als «nicht
realistisch» bezeichnet. Der erhoffte Schub in den Umfragen ist seit
Ende Februar, als Wissler und Susanne Hennig-Wellsow zu neuen
Parteichefinnen der Linken gewählt wurden, bisher aber ausgeblieben.

Zuletzt musste die Linke bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt sogar
starke Verluste verbuchen. Im Osten war sie eigentlich immer
traditionell stark. Nun will die Partei ostdeutsche Themen wieder
stärker besetzen, etwa die Angleichung von Renten und Löhnen. «Wir
haben das Thema trotz des Engagements Einzelner vernachlässigt, dabei
ist es weiterhin aktuell», sagte Bartsch der in Berlin erscheinenden
Zeitung «nd.DieWoche» (Samstag). Wissler räumte in der «Rheinischen

Post» (Samstag) ein, ihre Partei sei zu vielstimmig aufgetreten. Das
werde man jetzt ändern.

Neben den Umfragen macht der Linken auch innerparteilicher Streit zu
schaffen. Mehrere Mitglieder haben beantragt, Partei-Promi Sahra
Wagenknecht auszuschließen. Diese wirft in ihrem aktuellen Buch «die
Selbstgerechten» linken Parteien vor, soziale Fragen aus den Augen
verloren und mit Gender-, Klima- oder Biolebensmittel-Debatten
traditionelle Wähler mit geringen Einkommen verprellt zu haben.
Partei- und Fraktionsspitze versuchten vor dem Parteitag, das Feuer
umgehend auszutreten, nannten den Ausschlussantrag gegen Wagenknecht
falsch und appellierten an Geschlossenheit.

Wissler sagte der «Rheinischen Post»: «Sahra Wagenknecht stellt eine

berechtigte Frage, nämlich, wie wir wieder mehr Menschen erreichen
können. Ich teile aber nicht ihre Analyse, dass sich die Linke von
der sozialen Frage entfernt habe.» Wagenknecht sagte dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag): «Wir müssen uns darauf
konzentrieren, dass uns wieder sehr viel mehr Menschen als
verlässliche Kraft für sozialen Ausgleich und
Zusammenhalt wahrnehmen.» Die frühere Fraktionschefin fügte hinzu:
«Bei allen Differenzen darf man nicht vergessen, dass die Linke die
einzige Partei im Bundestag ist, die garantiert keiner Rente mit 68
und auch keinen politischen Maßnahmen zustimmen wird, die am Ende die
Corona-Kosten auf Gering- und Normalverdiener abwälzen.»

Auf dem Parteitag soll es nun um Inhalte gehen: Als Schwerpunktthemen
der Linken im Wahlkampf nannte Bartsch eine große Steuerreform, «die
harte Arbeit spürbar entlastet», eine Reform der Rente, so dass alle
- auch Beamte und Abgeordnete - in die Rentenkasse einzahlen und
Maßnahmen gegen den Klimawandel, «ohne die Verbraucher bei der
Heizung, beim Strom oder an der Tanke immer weiter abzuzocken». Die
Linke wolle «den wahren Leistungsträgern im Land» ein Angebot machen:

«Die Mehrheit von ihnen verdient zu wenig und zahlt zu viel.»

Im Entwurf für das Wahlprogramm konkret zu finden sind unter
anderem: 
- eine Abschaffung der Schuldenbremse
- eine Vermögensabgabe zur Finanzierung der Corona-Kosten
- eine Vier-Tage-Arbeitswoche bei vollem Lohnausgleich
- zusätzliche Feiertage
- ein Mindestlohn von 13 Euro
- 500 Euro mehr Grundgehalt für Pflegekräfte
- eine Mindestrente von 1200 Euro
- ein Mietendeckel für ganz Deutschland
- kostenlose öffentliche Verkehrsmittel für alle
- ein Verbot von Inlandsflügen unter 500 km
- eine Überführung von «Unternehmen der Daseinsvorsorge» (Wasser,
Energie, Krankenhäuser, Pflege, Post, Telekommunikation) in
öffentliches Eigentum
- die Auflösung der Nato
- eine langfristige Abschaffung von Geheimdiensten
- eine Legalisierung von Cannabis

Beim Klima-Thema, das mit Abflauen der Corona-Pandemie in Deutschland
mit Macht zurückkommt, legt die Linke Wert auf die Formulierung
«sozialökologisch»: Maßnahmen gegen die Klimakrise sollen so
getroffen werden, dass es jene finanziell am wenigsten trifft, die
ohnehin schon wenig haben. Diskussionen sind beim Parteitag darüber
zu erwarten, wie stark sich die Partei beim Klimaschutz positionieren
soll.

Auch in der Außenpolitik dürfte es Debatten geben. Einige in der
Partei würden gern das strikte Nein der Linken zu Auslandseinsätzen
aufweichen und Bundeswehreinsätze zumindest dann möglich machen, wenn
es dafür ein Mandat der Vereinten Nationen gibt. Ein entsprechender
Antrag zur Abstimmung liegt vor.