Delta-Variante kommt: Vorsicht trotz Entspannung in der Pandemie

Noch ist die Delta-Variante des Coronavirus in Deutschland wenig
verbreitet. Doch ihr Anteil steigt schnell. Deshalb ist aus Sicht von
Ärzten und Politikern Vorsicht geboten. Gefährdet sind vor allem
Ungeimpfte und erst einmal Geimpfte.

Berlin (dpa) - Trotz der derzeit entspannten Corona-Lage in
Deutschland haben Wissenschaftler, Ärzte und Politiker für Vorsicht
in der Pandemie geworben. Durch die ansteckendere Variante Delta
könne sich das Virus wieder verbreiten, sagte RKI-Präsident Lothar
Wieler am Freitag in Berlin. Diese Entwicklung könne vor allem
Ungeimpfte und erst einmal Geimpfte treffen. «Das dürfen wir einfach
nicht riskieren», ergänzte Wieler.

Auch bei niedrigen Inzidenzen sei deshalb ein behutsames Öffnen in
kleinen Schritten nötig. Durch Impfungen, Masketragen in Innenräumen
und Abstandhalten könnten wiedergewonnene Freiheiten erhalten
bleiben. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn warb für Vorsicht,
vor allem in der anstehenden Hauptreisezeit. «Das kann ein guter
Sommer werden», sagte der CDU-Politiker am Freitag in Berlin. Es gebe
Anlass zur Zuversicht. Aber vor allem, wenn alle aufmerksam blieben.
Lockerungen sollten bei steigenden 7-Tage-Inzidenzen deshalb regional
wieder zurückgenommen werden. Und zwar nicht erst bei einem Wert von
50, betonte Spahn, «sondern früher».

Bundesweit ist die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in
Deutschland binnen sieben Tagen nach den jüngsten RKI-Zahlen weiter
gesunken - auf aktuell 10,3. Vor einer Woche lag dieser Wert bei
18,6. Zu den Erfolgen in der Pandemiebekämpfung rechnet Spahn auch
die Fortschritte beim Impfen. Jeder zweite Bürger in Deutschland habe
mindestens eine Spritze bekommen, fast ein Drittel (29,6 Prozent)
seien vollständig geimpft.

«Das Virus ist nicht verschwunden. Lassen Sie uns die Erfolge nicht
leichtfertig verspielen», sagte Wieler. «Lassen Sie uns auch die
wiedergewonnene Freiheit erhalten, indem sich immer mehr Menschen
vollständig impfen lassen.» Noch kursiere die Delta-Variante auf
niedrigem Niveau (rund sechs Prozent) in Deutschland. Es sei jedoch
nicht die Frage, ob Delta das Infektionsgeschehen in Deutschland
dominiere, sondern wann, ergänzte er. Es hänge auch davon ab, wie es
gelinge, die Ausbreitung mit Maßnahmen wie Abstand, Hygiene und
Masken zu unterdrücken.

Im Herbst werde es in jedem Fall wieder zu mehr Neuinfektionen
kommen, sagte Wieler. Und im Moment sei die Hälfte der deutschen
Bevölkerung noch nicht ausreichend durch Impfungen geschützt. Das
Impfprogramm gilt als schärfste Waffe bei der Eindämmung der
Pandemie. Nötig sind nach RKI-Schätzungen 80 Prozent vollständig
immunisierte Bundesbürger.

Auch Ärzte sehen die Delta-Variante des Coronavirus mit Sorge. Der
Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, warf die
Frage auf, ob die aktuellen Corona-Lockerungen nicht zu weit gingen.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sorgt sich vor allem um
ungeimpfte Kinder. Kanzleramtschef Helge Braun rief zu Solidarität
auf. «Wir müssen vorsichtig bleiben, bis alle ein Impfangebot haben.
Das gehört zur Fairness gegenüber jenen Menschen dazu, die noch nicht
geimpft wurden, weil sie in keiner Priorisierungsgruppe waren und
noch keine Gelegenheit zur Impfung hatten», sagte der CDU-Politiker
dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Freitag). Von der erreichten
Impfquote werde abhängen, ob die Deltavariante oder noch eine andere
im Herbst zu einer größeren Ansteckungswelle führen werden. Spahn
kündigte an, alle positiven PCR-Tests genauer auf die Delta-Virusform
zu untersuchen und nicht nur wie bisher stichprobenartig. Das kann
das Bild der Ausbreitung schärfen.

Unter diesen Voraussetzungen gelten die bekannten Schutzmaßnahmen wie
Masketragen, Abstandhalten, Lüften und Hygiene weiter. Draußen sei
das Infektionsrisiko grundsätzlich aber wesentlich geringer, heißt es
in einem neuen Leitfaden des RKI im Internet. Insbesondere wenn ein
Abstand von 1,5 Meter eingehalten werde. Hier sei das Tragen einer
Maske in der Regel nur noch in bestimmten Situationen sinnvoll, zum
Beispiel bei Gedränge oder längeren Gespräche in unmittelbarer Nähe

zueinander. In Innenräumen seien Masken zum Infektionsschutz jedoch
weiter unabdingbar, auch am Arbeitsplatz, im öffentlichen Nahverkehr
und an Schulen, sagte Wieler. «Masken helfen gegen alle Varianten.»

Dazu seien weiter Schnelltestangebote nötig. Spahn rief Urlauber dazu
auf, das inzwischen flächendeckend verfügbare Netz von Teststellen zu
nutzen, um Infektionsketten bei der Reiserückkehr zu durchbrechen.
Denn die Tücke des Virus liegt darin, dass es schon ansteckend ist,
wenn ein Mensch sich noch völlig gesund fühlt. Montgomery mahnte,
nicht den Fehler des vergangenen Sommers zu wiederholen. 2020 habe
man den Wiedereintrag des Virus durch Reiserückkehrer unterschätzt.

Das Beispiel Großbritannien zeige bereits, wie fragil Erfolge in der
Pandemiebekämpfung sein könnten, berichteten Wieler und Spahn. Dort
war die 7-Tage-Inzidenz innerhalb weniger Wochen von 20 auf 70
gestiegen. Geplante weitere Lockerungen wurden deshalb verschoben.

RKI-Zahlen belegen, dass die Pandemie in Deutschland noch nicht
vorbei ist. So wurden bundesweit binnen 24 Stunden 91 neue Todesfälle
verzeichnet. Noch werden rund 1000 Menschen mit Covid-19 auf
Intensivstationen behandelt. Die Gesamtzahl der Menschen, die an oder
unter Beteiligung einer nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2
gestorben sind, wird nun mit 90 270 angegeben.