Stopp der Kommerzialisierung im Gesundheitswesen gefordert

Statt Rendite sollen im Gesundheitswesen Patienten und Mitarbeiter
stärker in den Fokus rücken - darin ist sich der Kieler Landtag
einig. Dennoch bleiben viele Differenzen. Minister Garg fordert eine
grundlegende Finanzierungsreform.

Kiel (dpa/lno) - Ein Vorstoß der SPD zu Konsequenzen aus der
Corona-Pandemie für Gesundheitswesen und Pflege hat am Freitag im
Kieler Landtag Kontroversen ausgelöst und zugleich Gemeinsamkeiten
offenbart. Die Jamaika-Koalition wies Vorwürfe der Tatenlosigkeit
zurück. Mit der Kommerzialisierung des Gesundheitswesens müsse
Schluss sein, sagte SPD-Fraktionschef Ralf Stegner. «Eine
leistungsstarke Gesundheits- und Pflegeversorgung darf nicht in
erster Linie von fiskalpolitischen Zwängen oder ökonomischen
Interessen getrieben sein», sagte auch Gesundheitsminister Heiner
Garg (FDP).

Das sei in der Pandemie am Beispiel des öffentlichen
Gesundheitsdienstes sehr deutlich geworden, der jahrzehntelang
stiefmütterlich behandelt worden sei. Die SPD hatte einen Katalog mit
14 Forderungen eingebracht. Aus ihrer Sicht ist es falsch, im
Gesundheitssystem Renditeerwartungen in den Vordergrund zu rücken.
Gesundheitsversorgung und Pflege seien ein Kernbereich der
staatlichen Daseinsvorsorge, heißt es in dem Antrag. Zu den
Forderungen gehört auch eine Abschaffung der Fallpauschalen, nach
denen Leistungen vergütet werden.

Dieses System habe auch ökonomische Fehlanreize geschaffen, meinte
Minister Garg. Es müsse grundlegend reformiert werden. Erforderlich
sei eine Basisfinanzierung, um eine flächendeckende Versorgung der
Bevölkerung sicherstellen zu können. In einer Arbeitsgruppe zur
Krankenhausfinanzierung in Deutschland hat Schleswig-Holstein den
Vorsitz. Sobald die Pandemie es zulässt, werde die Arbeitsgruppe ihre
Arbeit wieder aufnehmen und auch die Erkenntnisse aus der Pandemie
berücksichtigen, sagte Garg.

Die Pandemie habe geholfen, dringend notwendige Aufmerksamkeit auf
die Situation in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Praxen zu richten,
sagte Stegner. Die Mitarbeiter hätten in den vergangenen Jahren den
Preis für alle Einsparversuche gezahlt. «Durch schlechtere oder gar
keine Tarife, durch weniger Personal, Arbeitsverdichtung und Stress ­
ein System unter enormem Druck.» Die Arbeitsbedingungen dürften
Beschäftigte aber nicht zwingen, den Beruf zu verlassen oder in
Teilzeit zu gehen. «Und wir wollen nie wieder so unvorbereitet in
eine Krisensituation kommen, wie wir es im letzten Jahr erleben
mussten.»

Erforderlich seien Mindestbevorratungsmengen und eine gesicherte
Produktion in Europa, sagte Stegner Es müsse auch mehr Geld in das
Gesundheitswesen fließen. Das System brauche eine zukunftssichere
Finanzierung, an einer Bürgerversicherung führe kein Weg vorbei. «Der

Staat ist nicht der bessere Unternehmer, das wissen wir alle», sagte
Stegner. «Aber Gesundheit und Pflege sind eben auch keine Waren, die
man nach unternehmerischen Maßstäben bewerten könnte.»

Viel zu lange habe Gesundheits- und Pflegepolitik in Deutschland ein
Nischendasein gefristet, sagte Minister Garg. «Eine leistungsstarke
Gesundheits- und Pflegeversorgung ist ein Wert an sich, aber diese
kostet auch Geld.»

Die CDU-Sozialpolitikerin Katja Rathje-Hoffmann listete diverse
Initiativen der Koalition in Sachen Gesundheitsversorgung und Pflege
auf. Es sei falsch, so zu tun, als läge alles in Schutt und Asche,
sagte sie in Richtung SPD. Die Bundestagswahl sollte auch eine Wahl
über die Zukunft des Gesundheitswesens werden, sagte die Grüne Marret
Bohn. Besonders wichtig sei es, endlich so viele Menschen wie
erforderlich in Gesundheitsberufen auszubilden und eine solidarische,
gerechte Finanzierung des Gesundheitswesens zu erreichen. «Gesundheit
und Pflege müssen Patienten und nicht Investoren dienen», erklärte
Christian Dirschauer vom SSW. Mit der Koalitionsmehrheit wurde der
SPD-Antrag abgelehnt.