Sorgen über Delta-Virusvariante - Holetschek: Höchste Wachsamkeit

Noch ist die Delta-Variante des Coronavirus in Deutschland wenig
verbreitet. Doch ihr Anteil steigt. Bei Ärzten läuten Alarmglocken.
Der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach macht sich um eine ganz
bestimmte Gruppe Sorgen.

Berlin (dpa) - Ärzte sehen die als besonders infektiös geltende
Delta-Variante des Coronavirus mit Sorge. Der Vorsitzende des
Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, warf die Frage auf, ob die
aktuellen Corona-Lockerungen nicht zu weit gingen. Der Vorsitzende
der Gesundheitsministerkonferenz, Klaus Holetschek (CSU), riet zu
«allerhöchster Wachsamkeit». Der SPD-Gesundheitsexperte Karl
Lauterbach sorgt sich vor allem um ungeimpfte Kinder.

Auch Kanzleramtschef Helge Braun mahnt weiter zur Vorsicht. «Die
große Aufgabe ist, zu verhindern, dass sich die noch ansteckendere
Deltavariante schnell in Deutschland ausbreitet. Ausbreiten wird sie
sich aber», sagte der CDU-Politiker dem Redaktionsnetzwerk
Deutschland (RND/Freitag). «Wir müssen vorsichtig bleiben, bis alle
ein Impfangebot haben. Das gehört zur Fairness gegenüber jenen
Menschen dazu, die noch nicht geimpft wurden, weil sie in keiner
Priorisierungsgruppe waren und noch keine Gelegenheit zur Impfung
hatten», sagte Braun. Von der erreichten Impfquote werde abhängen, ob
die Deltavariante oder noch eine andere im Herbst zu einer größeren
Ansteckungswelle führen werden.

In Großbritannien breitet sich die in Indien entdeckte Delta-Variante
rapide aus und treibt trotz hoher Impfquote die Zahl der
Neuinfektionen deutlich in die Höhe. Bereits geplante weitere
Lockerungen wurden aufgeschoben. In Deutschland ist diese
Virusvariante noch wenig verbreitet, ihr Anteil steigt aber. Er lag
laut jüngsten Bericht des Robert Koch-Instituts bei 6,2 Prozent in
der Kalenderwoche 22 (31. Mai bis 6. Juni). In der Woche davor waren
es noch 3,7 Prozent.

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Montgomery, erwartet, dass sich
die Delta-Variante in Deutschland noch schneller ausbreiten wird als
die bisherigen Modifikationen. «Das Tückische bei dieser Variante
ist, dass Infizierte sehr schnell eine sehr hohe Viruslast im Rachen
haben und damit andere anstecken können, bevor sie überhaupt merken,
dass sie sich infiziert haben», sagte Montgomery den Zeitungen der
Funke Mediengruppe (Freitag). Er mahnte, im öffentlichen Nahverkehr,
in Geschäften und anderen Innenräumen sollten unbedingt weiterhin
FFP2-Masken getragen werden. Die Länder sollten prüfen, ob die
angekündigten Lockerungen nicht zu weit gingen. «Sie sollten außerdem

die politische Größe haben, angekündigte Lockerungen wieder
zurückzunehmen, wenn die Infektionszahlen durch die Delta-Variante
wieder steigen sollten. So, wie es die britische Regierung jetzt
getan hat», betonte der Mediziner.

Montgomery mahnte zudem, nicht den Fehler des vergangenen Sommers zu
wiederholen. 2020 habe man den Wiedereintrag des Virus durch
Reiserückkehrer unterschätzt, im Herbst folgte eine neue Welle.
«Diese Gefahr besteht jetzt wieder, wenn viele noch ungeimpfte
Touristen von Partyurlauben in ganz Europa nach Deutschland
zurückkehren.»

«Wir müssen den Anteil der Delta-Variante an den Neuinfektionen sehr
gut beobachten», sagte auch Ute Teichert, die Vorsitzende des
Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen
Gesundheitsdienstes, den Funke-Zeitungen. Die Verbandschefin der
Amtsärzte beklagte zudem, dass der Personalaufbau in den
Gesundheitsämtern immer noch stockend vorankomme. Bis Ende des Jahres
sollen bei den Gesundheitsämtern 1500 neue Stellen für medizinisches
Fachpersonal geschaffen werden. Ein Großteil dieser Stellen sei noch
nicht besetzt.

Der bayerische Gesundheitsminister Holetschek mahnte ebenfalls, die
Delta-Virusvariante dürfe nicht unterschätzt werden. «Ihr Auftreten
und ihr hoher Ansteckungsgrad zeigen uns, dass wir Corona trotz
spürbar sinkender Inzidenzwerte noch nicht besiegt haben», sagte
Holetschek der «Rheinischen Post» (Freitag). «Wir brauchen weiterhin

allerhöchste Wachsamkeit. Vorsicht und Umsicht müssen weiter das
Handeln bestimmen», betonte der Vorsitzende der
Gesundheitsministerkonferenz.

Der SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach geht davon aus, dass die
Delta-Variante in Deutschland im Herbst die dominierende Rolle
spielen wird, weil sie so viel ansteckender sei. Er hoffe, dass dies
nicht zu einem großen Problem ausgerechnet für die Kinder werde, die
nicht geimpft seien, sagte Lauterbach in den ARD-«Tagesthemen». «Die

Geimpften werden mit der Delta-Variante keine Probleme haben»,
betonte der SPD-Politiker. Gegen die eingesetzten Impfstoffe komme
diese Virusvariante nicht an.

Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut
(RKI) binnen eines Tages 1076 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Das
geht aus Zahlen vom Freitagmorgen hervor, die den Stand des
RKI-Dashboards von 04.52 Uhr wiedergeben, nachträgliche Änderungen
oder Ergänzungen des RKI sind möglich. Zum Vergleich: Vor einer Woche
hatte der Wert bei 2440 Ansteckungen gelegen. Deutschlandweit wurden
nun den Angaben nach binnen 24 Stunden 91 neue Todesfälle
verzeichnet. Vor einer Woche waren es 102 Tote gewesen. Die
Gesamtzahl der Menschen, die an oder unter Beteiligung einer
nachgewiesenen Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind, wird nun mit
90 270 angegeben.

Die Sieben-Tage-Inzidenz gab das RKI am Freitagmorgen mit bundesweit
10,3 an (Vortag: 11,6; Vorwoche: 18,6). Das Institut zählte seit
Beginn der Pandemie 3 720 031 nachgewiesene Infektionen mit
Sars-CoV-2. Die tatsächliche Gesamtzahl dürfte aber deutlich höher
liegen, da viele Infektionen nicht erkannt werden. Die Zahl der
Genesenen gab das RKI mit 3 598 100 an.