Virus-Variante Delta nimmt in Deutschland weiter zu

Die ansteckendere Virus-Variante Alpha hat die Eindämmung der
Pandemie im Winter erschwert. Droht mit der neuen Variante Delta bald
eine vierte Welle?

Berlin (dpa) - Die in Indien entdeckte Coronavirus-Variante Delta hat
ihren Anteil an den Sars-CoV-2-Neuinfektionen in Deutschland binnen
einer Woche deutlich gesteigert. Mit 6,2 Prozent in der Kalenderwoche
22 (31. Mai bis 6. Juni) bleibe sie aber weiter relativ selten, heißt
es im jüngsten Bericht des Robert Koch-Instituts (RKI). In der Woche
zuvor (KW 21) hatte der Anteil der Delta-Variante an den untersuchten
Proben samt Nachmeldungen noch bei 3,7 Prozent gelegen. Das RKI
wertet einmal pro Woche die Anteile der gemeldeten Virus-Varianten
aus, die als besorgniserregend eingestuft werden.

Mit einem Anteil von gut 86 Prozent an den untersuchten Proben löste
die Variante Alpha (B.1.1.7, entdeckt in Großbritannien) in der
ersten Juniwoche bundesweit jedoch weiter den Großteil der
Infektionen aus. Ihr Anteil sinkt allerdings langsam. Die weiteren
besorgniserregenden Varianten Beta und Gamma spielen nach wie vor nur
eine untergeordnete Rolle.

Für den Dortmunder Immunologen Carsten Watzl ist die deutliche
Zunahme bei der Delta-Variante allein noch kein Indikator für eine
drohende vierte Welle. «Wir müssen aber aufpassen, dass die
Inzidenzen nicht durch leichtsinnige Öffnungen wieder nach oben
gehen», schreibt er auf Twitter. Watzl schätzt aus kleineren
Datenerfassungen, dass der Anteil der Delta-Variante in Deutschland
aktuell bereits bei über zehn Prozent liegt. Das sei aber immer noch
niedrig - zum Beispiel im Vergleich zu Großbritannien.

Dort ließ sich in den vergangenen Wochen beobachten, wie schnell die
Delta-Variante die Infektionslage trotz einer weit fortgeschrittenen
Impfkampagne verschlechtern kann. Im April wurden in England die
ersten Fälle dieser Mutante nachgewiesen, die zum großen Teil auf
Reisende aus Indien zurückgehen soll. Sie kamen an, bevor die
britische Regierung Indien auf die sogenannte «rote Liste» mit
verpflichtender, zehntägiger Hotel-Quarantäne setzte. Anfang Mai, als
die britische Gesundheitsbehörde Public Health die Mutante als
«besorgniserregende Variante» einstufte, machte Delta bereits rund
ein Viertel der Fälle aus.

Mitte Mai überholte diese Mutante dann schon die in Deutschland noch
immer dominierende Alpha-Variante. Nur zwei Wochen später gab es fast
nur noch Delta-Fälle. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt in
Großbritannien derzeit wieder bei rund 70 - vorher rangierte sie
wochenlang bei um die 20. Die Inzidenzen legten also rasant zu,
obwohl mittlerweile bereits mehr als 57 Prozent der Erwachsenen in
Großbritannien vollständig geimpft sind.

Leider sei die Delta-Variante um 60 Prozent ansteckender als die
Alpha-Mutante, twittert Wissenschaftler Watzl. Darüber hinaus könne
sie dem Immunschutz besser entgehen. «Daher sind die Antikörper von
Personen nach der ersten Impfung kaum in der Lage, die Delta
Varianten zu neutralisieren.» Voll geimpfte Menschen seien dagegen
gut vor ihr geschützt.

Die Delta-Variante sei wegen ihrer schnelleren Übertragbarkeit ernst
zu nehmen, sagt auch der Berliner Physiker Dirk Brockmann vom
Institut für Biologie der Humboldt-Universität. Man müsse bedenken,
dass Werte im bundesweit niedrigen Prozentbereich zumeist noch auf
lokale Ausbrüche zurückgingen, sagte er am Mittwoch im rbb-Inforadio.
Auch die Alpha-Variante habe so klein angefangen, sich dann aber
durchgesetzt. Das werde seiner Einschätzung nach mit der
Delta-Mutante auch so kommen.

Momentan sinken die Fallzahlen in Deutschland. «Aber man muss auf dem
Radar haben, dass sich diese Variante auch durchsetzen kann.» Die
Regierung in Großbritannien hat geplante Lockerungen für England und
Teile Schottlands zum Beispiel gerade um mehrere Wochen aufgeschoben.

Immunologe Watzl ist allerdings zuversichtlich, dass die
Delta-Variante über den Sommer in Deutschland wohl zu keiner neuen
Welle führen wird. Das liege aber auch am Verhalten von Urlaubern und
Rückkehrern aus dem Ausland, betonte er. Es gelte darüber hinaus,
über den Sommer möglichst viele Menschen vollständig zu impfen. In
Schottland habe sich die Delta-Variante besonders unter den Jüngeren
verbreitet. «Daher wird die Diskussion zur Impfung von Kindern und
Jugendlichen noch wichtig werden.»

Bei guter Impfquote bis zum Herbst von über 80 Prozent ist Watzl
zuversichtlich, dass Deutschland trotz dann wahrscheinlich
dominierender Delta-Variante gut durch den Winter kommt.