Erster IBM-Quantencomputer Europas steht im Südwesten

Medizintechnik, kritische Infrastruktur, industrielle Fertigung - die
Einsatzmöglichkeiten von Quantencomputern sind riesig. Eine erste
dieser superschnellen Anlagen des weltweit tonangebenden IBM-Konzerns
hat es nun nach Europa geschafft.

Ehningen (dpa) - Das Potenzial von Quantencomputern für Wissenschaft
und Wirtschaft ist enorm - nun hat der auf diesem Gebiet mit führende
US-Konzern IBM die erste dieser Anlagen in Europa platziert. Das
hochkomplexe und ultraschnelle System wurde am Dienstag am
Deutschlandsitz des IT-Unternehmens in Ehningen vorgestellt und soll
unter dem Dach der Fraunhofer-Gesellschaft dazu genutzt werden, die
Technologie und die Anwendungsszenarien weiter zu erforschen.
Außerdem sollen mit dem Hochleistungsrechner bundesweit Kompetenzen
in Wirtschaft und Wissenschaft aufgebaut und damit internationale
Wettbewerbsvorteile geschaffen werden.

Bei der Anlage handelt es sich nach IBM-Angaben um «Europas
leistungsstärksten Quantencomputer im industriellen Kontext».
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete den Supercomputer in
einer Videobotschaft als «Wunderwerk der Technologie». Deutschland
gehöre in der Quantentechnologie-Forschung zur Weltspitze. Nun sei es
aber das Ziel, sich Forschungsergebnisse «möglichst schnell» auch f
ür
wirtschaftliche Anwendungen zunutze zu machen. Da könne die Anlage in
Ehningen entscheidend helfen.

Mit Quantencomputern reagieren Forschung und Industrie auf die
Tatsache, dass die bislang übliche Entwicklung von
Hochleistungscomputern an ihre physikalischen Grenzen stößt.
Quantencomputer können theoretisch um ein Vielfaches leistungsfähiger
sein als herkömmliche Rechner, sie können in kürzerer Zeit also
komplexere Aufgaben als konventionelle Systeme erledigen.

Der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Reimund Neugebauer, sagte,
Quantencomputer hätten als wichtige Säule künftiger
Rechnerarchitekturen einen maßgeblichen Einfluss, um komplexe
Fragestellungen zu lösen. Wenn Deutschland weiter zu den
Innovationstreibern gehören wolle, müsse man anwenderbezogene
Expertise aufbauen - sprich: Lösungen, die deutsche und europäische
Unternehmen im internationalen Wettstreit mit den USA und China
weiterbringt, sollen her.

Merkel machte klar, man stehe erst am Anfang dieser Technologie, aber
diese lasse bereits «gewaltige» Innovationspotenziale erkennen. Die
ultraschnellen Superrechner könnten in Verbindung mit künstlicher
Intelligenz mittelfristig Leistungsschübe für mehr Wertschöpfung
schaffen. Als naheliegende Anwendungsbeispiele nannte die Kanzlerin
die Medizintechnik und die Logistik- und Materialforschung.

Experten sehen darüber hinaus die Möglichkeit, mit Quantencomputern
etwa kritische Sicherheitsinfrastrukturen zu stabilisieren, bessere
Algorithmen für die industrielle Fertigung entwickeln sowie Batterie-
und Brennstoffzellen besser modellieren zu können. Baden-Württembergs
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte,
Quantentechnologien seien der «Schlüssel zur Zukunft».

IBM und die Fraunhofer-Gesellschaft hatten im März 2020 - auch nach
einer Vermittlung durch Merkel - eine Vereinbarung unterschrieben, um
die Forschung zu Quantencomputern in Deutschland voranzutreiben. In
diesem Zuge hatte IBM zugesagt, einen Quantencomputer der Serie «Q
System One» in Ehningen zu stationieren.

Darüber hinaus investiert die Bundesregierung in die Entwicklung der
superschnellen Rechner selbst, zuletzt wurden hierzu zwei Milliarden
Euro aus den Etats des Bundesforschungsministeriums sowie des
Bundeswirtschaftsministeriums freigegeben. Ziel ist es,
Quantencomputer bald auch ohne Hilfe der Amerikaner bauen zu können.
Bislang gibt es in Deutschland noch keinen Quantencomputer, der
komplett ohne Technologie aus dem Ausland gebaut wurde. Immerhin
gelten die deutschen Mittelständler Trumpf und Sick bei
quantenoptischen Sensoren als führende Know-how-Träger.

IBM ist neben seinem US-Konkurrenten Google auf dem Gebiet der
Quantencomputer bisher führend. Die nun in Ehningen stehende Anlage
ist IBM zufolge seit November in Deutschland, seit Februar arbeitet
die Fraunhofer-Gesellschaft bereits mit dem System; die offizielle
Vorstellung der Anlage ging auch bedingt durch die Corona-Krise aber
erst jetzt über die Bühne.

Ein Quantencomputer speichert Informationen nicht in Form von Bits,
die nur zwei mögliche Zustände annehmen können, nämlich 1 oder 0. E
in
Qubit eines Quantencomputers kann stattdessen beides gleichzeitig
sein. Das Quantenteilchen hält solange beide Zustände bei, bis man es
sich ansieht oder misst.