Öffnung ausgebremst? Gastronomen und Hotels fehlen die Arbeitskräfte Von Jan Petermann, dpa

Nach langer Zwangspause mit Insolvenzsorgen können Lokale, Hotels und
Touristikbetriebe in die Sommersaison starten. Ausgerechnet jetzt
mangelt es vielen aber an etwas Entscheidendem: genügend Hilfs- und
auch Fachpersonal. Schicksalsschlag oder schlechte Planung?

Berlin/Hannover (dpa) - Sommer, Sonne, Corona-Entspannung: Vorsicht
bleibt geboten, vielerorts füllen sich Lokale und Restaurants aber
langsam wieder. Wärmeres Wetter lockt die Menschen nach zermürbenden
Monaten des Lockdowns zumindest schon in die Außengastronomie.
Drinnen soll es ebenfalls losgehen. Auch Hoteliers und Touristiker
hoffen dringend auf Besserung nach dem oft vermasselten Jahr 2020.

Doch selbst wenn die Inzidenzen mitspielen, dürfte der Neustart hier
und da an seine Grenzen stoßen - oder gar ausbleiben. Denn zahlreiche
Betriebe haben zu wenig Personal. Gerade nun, wo das Geschäft unter
Auflagen anlaufen soll, könnte manche Terrasse unbewirtet, mancher
Tresen unbesetzt, manches Gästezimmer unvermietet bleiben. Die Krise
entfaltet ihre Spätwirkungen auf die Hilfs- wie auf die Stammjobs.

Ein aktuelles Stimmungsbild unter Mitgliedern des Deutschen Hotel-
und Gaststättenverbands (Dehoga) zeigt, wie eng es beim Service zum
Start in die für viele existenzielle Sommersaison aussieht. Mehr als
42 Prozent der Teilnehmer berichteten, dass Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in andere Branchen abgewandert seien. Dabei hätten fast
drei Viertel (73,7 Prozent) der Betriebe «mit aller Kraft gekämpft»,

um das Beschäftigungsniveau durch die Pandemie-Zeit zu halten,
während die übrigen (26,3 Prozent) Kündigungen aussprechen mussten.

Die Hauptgeschäftsführerin der Dachorganisation, Ingrid Hartges,
nennt «dauerhafte Öffnungen» als Bedingung für eine Rückkehr. Abe
r
wie lange wäre die - idealerweise nur vorübergehende - Unterbesetzung
beim Kellnern, Kochen oder an der Rezeption auszuhalten? Von jenen
Unternehmen, die zurzeit noch gar nicht aufmachen können, gab in der
ersten Juni-Woche nahezu ein Drittel «fehlende Mitarbeiter» als Grund
an.

Dabei ist die Sehnsucht der Kundschaft nach Eisdiele, Feierabend-Bier
oder einem guten Essen auswärts in Gesellschaft groß. Im Tourismus
zogen die Buchungen für etliche Inlandsziele an. Dennoch ist zu
berücksichtigen: Es geht nicht nur um Assistenzkräfte, die anderswo
mehr Chancen sehen. Es gibt auch ein Strukturproblem, das die
Pandemie verschärft hat: den Mangel an Fachkräften beim
Stammpersonal.

Schon der leidlich verlaufene Sommer 2020, als manch einer das Virus
unter Kontrolle wähnte, hinterließ seine Spuren. Bis Ende September
war die Gesamtbeschäftigung - Mini-Jobber sowie mitarbeitende Inhaber
und Familienangehörige eingeschlossen - in der Branche von mehr als
2,4 Millionen im Jahr zuvor auf knapp 2,1 Millionen abgesackt.

In der Analyse des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK)
zur Tourismus-Konjunktur in diesem Frühsommer wird der Engpass
deutlich: 48 Prozent der befragten Gastronomen bezeichneten den
Fachkräftemangel als ernstes Risiko für das eigene Geschäft - beinahe

eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahreszeitpunkt (17 Prozent).
Bei Beherbergungsbetrieben wie Hotels oder Pensionen ergab sich eine
ähnlich kritische Entwicklung von 11 auf 46 Prozent.

Arbeitnehmervertreter bestätigen die Schwierigkeiten - weisen jedoch
auf eine Mitverantwortung der Arbeitgeber hin. Der Chef der
Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Guido Zeitler, sagt: «Viele
Restaurants, Bars und Hotels dürfen zwar wegen sinkender
Corona-Zahlen endlich wieder öffnen. Aber sie finden leider häufig
niemanden, der ihre Gäste empfangen oder für sie kochen möchte.»

Die plötzliche Überraschung mancher Betriebe sei stellenweise etwas
scheinheilig, meint der Gewerkschafter - denn die Personalknappheit
sei in Teilen ein «hausgemachtes Dilemma»: «Statt die Fachkräfte mi
t
attraktiver Bezahlung zu binden, wurde auf Tarifflucht, Mini-Jobs und
prekäre Beschäftigung gesetzt.» Zeitler verweist etwa auf die hohe
Zahl von Ausbildungsabbrechern unter angehenden Köchinnen und Köchen.
In anderen Branchen sähen junge Leute oft bessere Verdienstchancen
und mehr Wertschätzung: «Hunderttausende derer, die in Corona-Zeiten
gehen mussten, werden dem Gastgewerbe in Zukunft fernbleiben.»

Auch in Niedersachsen mit seinem volkswirtschaftlich bedeutenden
Küsten-Tourismus sowie den Urlaubsgebieten in Harz und Heide haben
viele Gastronomen und Hoteliers nicht ausreichend Personal. Besonders
bei den Saisonkräften habe sich «ein nicht unerheblicher Teil der
Mitarbeiter in andere Beschäftigungsbereiche hinein verlagert», sagte
Dehoga-Landeschef Rainer Balke schon vor den ersten Öffnungen.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hält die Situation für heikel. Der

Wettbewerb um die besten Kräfte werde nun voraussichtlich noch
intensiver werden, schätzt der BA-Regionalchef für Niedersachsen und
Bremen, Johannes Pfeiffer. Mit der Wiederbesetzung zwischenzeitlich
verwaister Arbeitsplätze dürfte es teilweise schwierig werden. In
ganz Deutschland waren im März 944 000 Menschen in der Gastronomie
und Hotellerie sozialversicherungspflichtig beschäftigt - im
Vor-Pandemie-Jahr 2019 waren es zu der Zeit noch 125 000 mehr.

Der niedersächsische Tourismusverband differenziert nach Sektoren.
«In Unternehmen, die im Kurgeschäft aktiv sind, können wir keinen
Abtrieb feststellen.» Anders sei es in der Gastronomie, wo sich der
Personalmangel durch Insolvenzen verschärfen könnte. Eigenen
Nachbesserungsbedarf gebe es durchaus: «Die Attraktivität der Jobs
muss erhöht werden.» Einstweilen bleibe der Bedarf an Saisonkräften
aber groß, betont die Tourismusexpertin der IHK Ostfriesland, Kerstin
Kontny: «Das wird ein Problem entlang der ganzen Küste werden.»