Experte: Ohne Maskenpflicht droht Wiederaufflammen der Pandemie

Soll die Maskenpflicht jetzt schon fallen, drinnen wie draußen?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plädiert für ein stufenweises
Vorgehen, andere Politiker fordern die komplette Abschaffung. Was
sagen Experten aus der Wissenschaft?

Berlin (dpa) - Eine generelle Aufhebung der Maskenpflicht in
Deutschland könnte nach Ansicht von Wissenschaftlern ein
Wiederaufflammen der Pandemie nach sich ziehen. «Wenn wir nach dem
Wegfall der Testpflicht in vielen Situation nun auch noch die
Maskenpflicht fallen lassen, sind wir im Grunde in einem ungestörten
Leben wie vor der Pandemie», sagte Eberhard Bodenschatz vom
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen
am Montag der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Das Virus aber sei noch
da und wesentlich infektiöser durch Mutationen. «Warum soll die
Pandemie dann nicht wiederkommen?».

Eine ähnliche Entwicklung fürchtet Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für

Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen. «In der Tat droht -
siehe Großbritannien - eine vierte Welle, wenn Maßnahmen sehr
weitgehend beendet werden», sagte der Epidemiologe der dpa. «Insofern
bleiben Vorsichtsmaßnahmen insbesondere für Innenräume wichtig,
ebenso wie hohes Impftempo und ein Monitoring der Varianten.»

Auch die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie,
Eva Grill, hält es vorerst für wichtig, zumindest drinnen weiterhin
Maske zu tragen. «Masken sind ein einfacher und wirksamer Schutz, vor
allem in Innenräumen», so die Epidemiologin von der
Ludwig-Maximilians-Universität in München. «Es geht hier auch um den

Schutz vor ansteckenderen neuen Varianten des Virus.»

Aerosolforscher Christof Asbach hält eine Entscheidung für die
Abschaffung der Maskenpflicht im Freien für gut nachvollziehbar. In
Innenräumen gehe es letztlich um die Frage, welches Risiko man
akzeptieren möchte. «Die Wahrscheinlichkeit in Innenräumen auf einen

Infizierten zu treffen, bleibt mit und ohne Maskenpflicht gleich»,
sagte der Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung der dpa.
«Das Risiko, sich anzustecken, ist ohne Maske natürlich höher.» Er

plädiere auch an die Vernunft der Menschen, sich unabhängig von
Vorgaben in kritischen Situationen zu schützen.

Nach der weitgehenden Aufhebung der Maskenpflicht in Dänemark von
Montag an ist auch in Deutschland eine Diskussion über den Sinn des
Mund-Nasen-Schutzes entbrannt. Zunächst könne die Maskenpflicht
draußen grundsätzlich entfallen, hatte Bundesgesundheitsminister Jens
Spahn (CDU) den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag) gesagt. In
Regionen mit sehr niedriger Inzidenz und hoher Impfquote könne die
Pflicht auch drinnen nach und nach entfallen. FDP und AfD hatten
zuvor die komplette Aufhebung der Maskenpflicht gefordert.

Nach Ansicht des Göttinger Forschers Bodenschatz steigt mit dem
Wegfall der Testpflicht die Gefahr, einem hoch ansteckenden
asymptomatischen Virusträger zu begegnen und etwa in Innenräumen
höheren Viruskonzentrationen ausgesetzt zu sein, weil viele
Infizierte nicht mehr erkannt würden. Mit dem Anstieg der Impfquote
steige die Zahl der Neuinfektionen vielleicht langsamer, aber auch
mit Blick auf die sich ausbreitende Delta-Variante sei mit einem
neuerlichen Anstieg zu rechnen. «Ich bin gespannt, was passiert.»
Derzeit helfe das Wetter bei der Bekämpfung der Pandemie mit, weil
bei der kühlen Luft am Morgen viel gelüftet werde. «Wenn es heiß
wird, bleiben die Fenster oft zu. Das kann dann zum Problem werden,
etwa auch in Schulen.»

Niedersachsen hatte schon vor einigen Wochen damit geliebäugelt, die
Maskenpflicht im Einzelhandel in Regionen mit einer
Sieben-Tage-Inzidenz unter 35 fallenzulassen - und zog das Vorhaben
nach breiter Kritik zurück. Aus Expertensicht war das auch gut so:
«Frühestens, wenn wir Impfquoten von 70 bis 80 Prozent erreicht
haben, könnte man darüber nachdenken», hatte der Virologe Friedemann

Weber von der Uni Gießen Ende Mai der Deutschen Presse-Agentur
gesagt. Derzeit ist erst etwa ein Viertel der Bevölkerung vollständig
geimpft.

«Wir haben immer noch eine Pandemie mit einem unklaren weiteren
Verlauf unter anderem durch Virusvarianten», warnte Weber im Mai. Der
Aufwand, Maske zu tragen, sei gering - der Gewinn für die
Pandemie-Bekämpfung aber groß. Nach einer Studie des Virologen
Christian Drosten liegt das Maximum der Virus-Ausscheidung ein bis
drei Tage vor Beginn der Symptome. Der Infizierte merkt also noch gar
nicht, dass er krank ist und andere anstecken könnte. Eine Maske kann
da viel ungewolltes Ungemach verhindern.

Unumstritten ist unter Experten, dass die Ansteckungsgefahr in
Innenräumen meist deutlich höher ist als an der frischen Luft. Daher
sollte die Maskenpflicht nach Meinung von Gerhard Scheuch, dem
früheren Präsidenten der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in

der Medizin, zuerst bei Outdoor-Aktivitäten wie etwa Zoobesuchen
aufgehoben werden, bevor man den Einzelhandel wie kleine
Souvenirläden angeht.

Auch in großen Theatern und Museen, Freibädern, Schwimm- und
Sporthallen sei das Ansteckungsrisiko nicht so hoch, weil dort sehr
viel Raum und Luft seien. «Da reicht die Aerosolkonzentration kaum
aus, um andere zu gefährden.» Doch auch dabei gibt es Tücken - denn
selbst in vermeintlich Frischluft-durchfluteten Freibädern gibt es
enge Umkleiden. «Da muss man schauen, dass die super belüftet sind.»


Gerade in kleinen, engen, unbelüfteten Räumen sei die Gefahr am
höchsten, sagte Scheuch Ende Mai. Als weiteres Beispiel nannte er
Aufzüge. «Hier sind oft nur zwei bis vier Kubikmeter Luft. Wenn Leute
drin sind, noch weniger.» Schon während einer kurzen Fahrt könne man

sich anstecken, auch wenn man alleine ist. «Die Wolke bleibt drin.»