Von «Bullerbü» in den Irak: Baerbock über ihren Weg in die Politik Von Martina Herzog, dpa

Robert Habeck ist Wiederholungstäter, nun macht es auch
Co-Parteichefin Annalena Baerbock. Pünktlich zur heißen
Wahlkampfphase veröffentlicht die grüne Kanzlerkandidatin ein Buch.

Berlin (dpa) - Auch wenn das Wort im Titel steckt: Annalena Baerbocks
Buch «Jetzt. Wie wir unser Land erneuern» enthält wenig Neues -
jedenfalls für Leser, die schon mal im grünen Wahlprogramm geblättert

hat. Doch Baerbock will auf 240 Seiten nicht allein Konzepte
präsentieren. Sie schreibt über sich selbst, Jugenderinnerungen,
Begegnungen und Überzeugungen.

«Ein bisschen Bullerbü auf Norddeutsch», so beschreibt Baerbock die
Kindheit im Dorf Schulenburg an der Leine bei Hannover. Dort kauften
die Eltern gemeinsam mit Verwandten ein altes Haus und renovierten es
jahrelang, wie sie schreibt. «Auf dieser Baustelle mit vier Hektar
verwildertem Garten wurde ich mit meinen beiden jüngeren Schwestern
und mit meinen Cousinen groß.» Die Sehnsucht nach Dorf sei geblieben,
schreibt sie, «weswegen mein Einsatz für den Kohleausstieg auch immer
ein Kampf für die Dörfer der Lausitz war». Heute wohnt sie mit ihrer

Familie in Potsdam bei Berlin.

Unterstützt bei der Arbeit hat sie der Autor Michael Ebmeyer. Mit
ihm, der auch schon an einem Buch von SPD-Außenminister Heiko Maas
mitwirkte, habe sie im Dezember und Januar ausführliche Gespräche
geführt, wie Baerbock sagt. Auf Grundlage dieser transkribierten
Unterhaltungen wiederum habe sie ihr Buch verfasst. Manche Stationen
ihres beruflichen und politischen Werdegangs, deren irreführende
Darstellung der Autorin zuletzt so viel Ärger bescherten, werden zwar
angerissen, ohne jedoch präzise Eckdaten zu nennen.

«Da steckt viel Persönliches drin», sagte Baerbock der Deutschen
Presse-Agentur. Denn sie glaube, dass Politik nur aus innerer
Überzeugung möglich sei, mit Blick auf die Lebenswirklichkeiten der
Menschen und als Teil ihres Alltags. Sie habe deutlich machen wollen,
«was so sperrige Themen wie eine sozial-ökologische Marktwirtschaft
konkret mit den Menschen in unserem Land zu tun haben.» Und mit ihr
und ihren Erfahrungen.

Längst haben die Grünen verinnerlicht, dass ökologischer Umbau ohne
soziale Absicherung keine Mehrheiten findet und Austausch mit Bossen
und Gewerkschaftern auch außerhalb der Solarindustrie nottut.
Entsprechend detailliert fallen ihre Ausführungen zum Thema
Daseinsvorsorge (Gesundheitswesen, Verkehrsanbindungen, Schulen,
Sport) aus. Die Grünen hätten es sich früher ziemlich einfach
gemacht, schreibt Baerbock. «Die Parole von den «dreckigen
Kohlekonzernen» kam auf jedem Parteitag gut an, bei den Beschäftigten
in der Lausitz allerdings weniger.»

Die tiefsten Zwiespälte des Buchs klaffen in der Außenpolitik. In der
Außenpolitik gebe es Momente, «in denen man entscheiden muss zwischen
Pest und Cholera», schreibt die Grünen-Chefin. Gemeint sind
Entscheidungen für oder gegen den Einsatz von Waffengewalt, um
Menschenleben zu retten. Ausgeschlossen ist der für Baerbock nicht:
«Es geht dabei nicht um ein moralisch sauberes Gewissen, sondern
darum, durch konkretes Handeln Leid zu mindern und Leben zu retten.»

Vor Gefühlen scheut Baerbock sich wenig. «Mir rannen Tränen über di
e
Wangen. Beim Schreiben tun sie das noch heute», berichtet sie von
einem Besuch im irakischen Kurdistan, wo sie 2019 jesidische Frauen
traf, die von der Terrormiliz IS verschleppt und vergewaltigt worden
waren.

Die stärkste Leidenschaft jenseits der Politik flackert auf, wenn
Baerbock über den Sport schreibt. «Denke ich an Sport, denke ich an
volle Power, klitschnasse Trikots und Schlammschlachten auf dem
Fußballfeld. Und an Doppelsaltos auf dem Trampolin. Sport war mein
Leben in der Jugend.»

Dann geht es fast ein wenig durch mit der Grünen-Chefin. Vier Seiten
lang beschreibt sie Hochs und Tiefs als jugendliche
Leistungssportlerin auf dem Trampolin. 1994 habe sie sich das
Fußgelenk zertrümmert, kurz vor den deutschen Meisterschaften.
«Schmerzen kenn ich doch, aber ich wollte deutsche Meisterin werden
in einer Woche», habe sie dem Arzt im Krankenhaus gesagt, der sich
wunderte, dass sie nicht aufhörte zu weinen.

Natürlich stecken auch in diesen Erinnerungen politische Lehren;
Regeln auf dem Fußballplatz als Übung für das demokratische
Miteinander. Sie sei irritiert, wenn Menschen versuchten, Stärke
dadurch zu beweisen, dass sie Niederlagen nicht akzeptierten. «Auf
dem Platz wärst du damit raus.»