Stiko empfiehlt Impfung nur für vorerkrankte Kinder und Jugendliche

Auch Kinder impfen oder nicht? Seit Wochen diskutiert Deutschland
über diese Frage. Mitglieder der Ständigen Impfkommission haben nun
ihre Empfehlung für die Altersgruppe ab 12 Jahren abgegeben.

Berlin (dpa) - Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat in der
Pandemie keine generelle Impfempfehlung für gesunde Kinder und
Jugendliche ab 12 Jahren ausgesprochen. Sie empfiehlt Impfungen gegen
das Coronavirus aber für 12- bis 17-Jährige mit bestimmten
Vorerkrankungen. Nach ärztlicher Aufklärung und bei individuellem
Wunsch und der Risikoakzeptanz von Kindern, Jugendlichen oder ihren
Eltern sei eine Impfung aber auch bei gesunden jungen Leuten möglich,
heißt es im jüngsten Bulletin des Robert Koch-Instituts, das am
Donnerstag erschien.

«Es geht um eine Abwägung von Nutzen und möglichem Risiko», sagte d
er
Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens am Donnerstag der Deutschen
Presse-Agentur. Die Wirkung der Impfung für 12- bis 17-Jährige sei
dabei unbestritten. «Die Schutzwirkung ist sehr gut», betonte
Mertens. Durch die relativ kleine Gruppe von rund 1100 Kindern und
Jugendlichen in der Zulassungsstudie und einen Beobachtungszeitraum
von nur zwei Monaten seien aber mögliche schwere Nebenwirkungen nicht
hinreichend auszuschließen. Dazu sei das Risiko für 12- bis
17-Jährige, schwer an Covid-19 zu erkranken, sehr gering. «Wir hatten
in dieser Altersgruppe in Deutschland bisher nur zwei Todesfälle»,
berichtete Mertens. In beiden Fällen hätten schwerste Vorerkrankungen
vorgelegen. «Unsere Abwägung muss jeder verstehen», ergänzte er.
«Es
ist eine sachgerechte Empfehlung.»

Nach einer Empfehlung der Arzneimittelbehörde EMA hatte die
EU-Kommission Ende Mai offiziell die Zulassung für die Impfung von
Kindern ab zwölf Jahren mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer
erteilt. Die Stiko hatte bereits mehrfach angedeutet, dass sie aus
Mangel an Daten zunächst keine allgemeine Impfempfehlung für alle
Kinder ab 12 abgeben will.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte angekündigt, Kinder
und Jugendliche auch ohne allgemeine Stiko-Empfehlung in die
Impfkampagne einbinden zu wollen. Es sei dann eine individuelle
Entscheidung von Eltern mit ihren Kindern und den Ärzten. Dieses
Modell kritisiert Mertens nachträglich nicht. «Die Stiko-Empfehlung
macht das auch möglich», sagte er. «Viele Eltern hatten Angst vor
einer Impfpflicht. Sie sind jetzt zu Recht beruhigt.»

Nach Stiko-Angaben leiden von den rund 4,5 Millionen 12- bis
17-Jährigen in Deutschland Schätzungen zufolge rund 379 000 generell
an Vorerkrankungen. Die Stiko schränkt ihre Impfempfehlung allerdings
auf rund ein Dutzend Krankheitsbilder ein, die mit erhöhtem Risiko
für einen schweren Covid-19-Verlauf einhergehen. Dazu zählen im
Einzelnen: Adipositas (Fettleibigkeit), angeborene oder erworbene
Immundefizienz oder relevante Immunsuppression, angeborene
zyanotische Herzfehler, schwere Herzinsuffizienz, schwere pulmonale
Hypertonie, chronische Lungenerkrankungen mit einer anhaltenden
Einschränkung der Lungenfunktion, chronische Niereninsuffizienz,
chronische neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen, maligne
Tumorerkrankungen, Trisomie 21, syndromale Erkrankungen mit schwerer
Beeinträchtigung sowie ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus.

Zusätzlich geht es um eine Impfempfehlung für Kinder und Jugendliche
ab 12 Jahren, in deren Umfeld sich Angehörige oder andere
Kontaktpersonen mit hoher Gefährdung für einen schweren
Covid-19-Verlauf befinden. Dabei geht es aber um Menschen, die selbst
nicht geimpft werden können oder bei denen der begründete Verdacht
auf einen nicht ausreichenden Schutz nach Impfung besteht.

Markus Knuf, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für
Pädiatrische Infektiologie, hält das defensive Verhalten der Stiko
momentan für gerechtfertigt. «Ich verstehe es als ein Plädoyer für

das Sammeln weiterer Daten», sagte er am Donnerstag auf einer
Pressekonferenz im Vorfeld des Kongresses für Infektionskrankheiten
und Tropenmedizin.

Für Kinder unter 12 Jahren ist bisher noch kein Impfstoff zugelassen.
«Die sehr große Gruppe der ebenfalls als gefährdet anzusehenden
chronisch kranken Kinder im Säuglings-, Kleinkindes- und Schulalter
muss bislang ohne Impfangebot bleiben», sagte Knuf. Insgesamt gibt es
mehr als 15 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland. «Die
können wir nicht einfach außen vor lassen», ergänzte er. Die einfac
he
Formel «Kinder erkranken nicht oder nur sehr leicht, deshalb ist eine
Impfprävention nicht notwendig» könne so nicht gelten.

Allein seiner Fachgesellschaft seien rund 1600 Krankenhausaufnahmen
von Kindern und Teenagern wegen Covid-19 bekannt. 80 von ihnen hätten
intensivmedizinisch betreut werden müssen. Unter den wegen Covid-19
aufgenommenen Kindern seien rund die Hälfte Säuglinge und Kleinkinder
gewesen. Bei all diesen Zahlen gehen die Kinderärzte noch von einer
Untererfassung aus. Er halte die Einschränkungen der Stiko allein für
einen Schritt in der Impfempfehlungsdynamik, sagte Knuf. «Das ist
sicher nicht in Beton gegossen.»