Appell vor G7-Gipfel: Patente zur Impfstoffproduktion freigeben

Weniger als ein Prozent der Impfungen weltweit erfolgte bisher in
ärmeren Ländern. Das Virus breitet sich weiter aus, mutiert und kann
Impfstoffe unwirksam machen. Steht Deutschland einer Lösung im Weg?

Carbis Bay (dpa) - Vor dem G7-Gipfel in Großbritannien haben
regierungsunabhängige Organisationen die reichen Industrieländer
aufgefordert, im Kampf gegen die Pandemie die Patente für Impfstoffe
freizugeben. Auch müsse Technologie in ärmere Länder transferiert
werden, um dort eine Produktion aufzubauen. «Spenden können marginal
helfen, aber die Entwicklungsländer brauchen die Rechte, das Know-how
und die Technologie zur eigenen, regionalen Herstellung der
Impfstoffe», sagte Jörn Kalinski von Oxfam International am Dienstag
der Deutschen Presse-Agentur vor dem Gipfel im britischen Carbis Bay.

Die Staats- und Regierungschefs der Gruppe der Sieben (G7) aus USA,
Deutschland, Großbritannien, Kanada, Frankreich, Italien und Japan
kommen von Donnerstag bis Sonntag in dem Touristenort in Cornwall
zusammen. Der Kampf gegen Covid-19 ist eines der zentralen Themen des
Gipfels, der Freitag beginnt. Oxfam und andere in der People's
Vaccine Alliance zusammengeschlossene Organisationen warnten, dass
ohne eine Ausweitung der Impfungen in Entwicklungsländern das Virus
weiter mutieren und heutige Impfstoffe unwirksam machen könnte.

Scharfe Kritik wurde an Deutschland und G7-Gastgeber Großbritannien
geübt, die einen Vorstoß von US-Präsident Joe Biden und Ländern wie

Indien und Südafrika zur vorübergehenden Aufhebung der Impfpatente
«blockieren». «Mit ein paar gespendeten, überzähligen Impfdosen k
ann
die Welt nicht geimpft werden», sagte Kalinski. «Die
Covid-19-Pandemie ist eine weltweite Katastrophe, und es kann nicht
sein, dass die Mittel und das Wissen zu ihrer Bekämpfung sich in
Privatbesitz befinden.» Die Entwicklung der Impfstoffe sei mit
Milliarden an öffentlichen Geldern unterstützt worden. «Sie sind ein

globales Gut und gehören unter öffentliche Kontrolle.»

Die Technologie zur Herstellung von Impfstoffen müsse über C-TAP
(Covid-19 Technology Access Pool) und die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) an qualifizierte Hersteller weltweit weitergegeben werden. Es
müsse strategisch in allen Regionen der Welt in den Kapazitätsaufbau
investiert werden. «Alles andere wird scheitern», sagte Kalinski.
«Alles andere würde unnötig Millionen Menschenleben gefährden.»


«Langfristig braucht Afrika eigene Produktionskapazitäten, um selbst
in die Herstellung von Vakzinen einzusteigen», sagte auch Karoline
Lerche von der Entwicklungsorganisation One. Die G7-Staaten hätten
sich zusammen mit der EU über 2,6 Milliarden mehr Impfdosen gesichert
als sie benötigten. Das Nachsehen hätten ärmere Länder: Weniger als

ein Prozent der Impfungen weltweit seien Menschen verabreicht worden,
die in Ländern mit niedrigem Einkommen leben. «Dieser
Impfnationalismus kann Leben kosten und die Pandemie um Jahre
verlängern», warnte Lerche.

Daher müssten die reichen Länder bereits jetzt beginnen, Impfdosen an
ärmere Länder abzugeben, forderte Lerche. Die bisherigen Zusagen
reichten nicht. «Kanzlerin Merkel muss mit gutem Beispiel und
ehrgeizigen Maßnahmen vorangehen, um die anderen G7-Staaten dazu zu
bewegen, die zu viel bestellten Impfdosen abzugeben.»